Interview: "Die WM hat eine große Strahlkraft"

Hanna Hielscher im Gespräch mit Josefine Paul

Wodurch bist Du das erste Mal mit Frauenfußball in Berührung gekommen?

Ich komme aus der niedersächsischen Provinz, da gab es nicht so wahnsinnig viel Frauenfußball, aber irgendwann habe ich dann ein Mädchenfußballteam gefunden. Und weil ich gerne Fußball spielen wollte, habe ich bei denen angefangen. Mit meiner Mädchenfußballmannschaft bin ich dann, ich glaube 1995, zu meinem ersten Frauenfußballspiel nach Gifhorn, damals noch in einem ganz kleinen Stadion, gefahren. Seitdem bin ich Fan.

FIFA-Präsident Joseph Blatter sagte „Die Zukunft des Fußballs ist weiblich“. Welchen Stellenwert hat Frauenfußball in Deutschland Deiner Meinung nach heute?

Auf jeden Fall ist es schon mal wesentlich besser geworden als früher. Frauenfußball ist in Deutschland durch den DFB von 1955 bis 1970 verboten gewesen. Kein offizielles gesetzliches Verbot zwar, aber der DFB hat eben seinen Mitgliedsvereinen und Mitgliedsverbänden untersagt Frauenmannschaften zu gründen, Frauenmannschaften zu unterstützen und an Frauenteams ihre Plätze zu vergeben. Da ist es natürlich ein großer Fortschritt, wenn wir heute die Fußballfrauen-WM im eigenen Land haben. Seit 1982 gibt es auch eine Frauennationalmannschaft, die in den letzten Jahren sehr sehr erfolgreich gewesen ist. Das hat dazu beigetragen, dass Fußball heute bei Mädchen und Frauen die beliebteste Mannschaftssportart ist und das der aktuelle DFB-Präsident Theo Zwanziger nicht nur bekennender Frauenfußballfan ist, sondern diese Entwicklung tatsächlich auch aktiv unterstützt. Ich glaube schon, dass die Frauen-WM nicht nur eine breite öffentliche sowie politische und sportverbandliche Unterstützung finden wird, sondern auch dazu beiträgt, dass Frauenfußball noch populärer wird, dass noch mehr spielen und dass sich auch die finanzielle Unterstützung für den Frauenfußball verbessert.

Welches emanzipatorische Potential hat die Frauenfußball-WM 2011 für Frauen?

Ich glaube man darf das nicht überschätzen. Die meisten Frauen die Fußball spielen, sagen sie wollen gerne Fußball spielen. Das hat für die gar nicht in erster Linie was mit Emanzipation oder Verwirklichung unter Geschlechteraspekten zu tun, sondern die wollen einfach ein bisschen zocken. Viele von den jungen Frauen oder von den Mädchen die heute spielen wissen gar nicht mehr oder haben gar nicht selbst erfahren, welche Schwierigkeiten es in den Anfängen des Frauenfußballs gegeben hat. Die wissen nichts mehr davon, was am Anfang immer gesagt wurde: Das Fußball unweiblich wäre und die Fortpflanzungsorgane völlig durcheinander gerieten, wenn man solche Bewegungen macht Dementsprechend wurde der Sport damals marginalisiert und davon wissen viele Leute heute gar nichts mehr. Das überrascht auch in der Öffentlichkeit immer sehr, wenn man davon erzählt. Gleichwohl, sehe ich ein großes Potential im Frauenfußball, was Mädchen mit Migrationshintergrund  oder Mädchen die sonst nicht so Sport affin sind angeht. Fußball ist ein cooler Sport, hinter dem coole Frauen stehen, seien es National- oder Bundesligaspielerinnen. Ich glaube man kann über diesen Sport noch eine ganze Menge Mädchen für Sport begeistern und dafür, dass sie sich draußen austoben. Natürlich gibt es auch heute noch viele Vorurteile, mit denen Fußballerinnen konfrontiert werden, aber die positive Entwicklung zeigt, dass die Frauen sich davon nicht abhalten lassen zu spielen und sich sehr wohl behaupten. Insofern ist Frauenfußball also schon ein Stück weit emanzipatorisch. Ich finde es außerdem sehr positiv, dass einige Top-Spielerinnen sich im Frauenfußball zu ihrer Homo- und Bisexualität bekennen. Dass ist ja leider im Männerfußball immer noch undenkbar.

Inwiefern werden durch die WM Geschlechterbilder neu hinterfragt?

Ich weiß nicht so genau, ob durch die WM überhaupt Geschlechterbilder hinterfragt werden. Wenn man sich anguckt, dass das Motto der WM „20elf von seiner schönsten Seite“ ist, kann ich erkennen, dass man weiterhin in diese typisch sexistische, „weibliche Sportlerinnen sind natürlich weiblich, sexy und schön“ Kerbe schlägt. Ich kann mich nicht erinnern, dass bei der Männernationalmannschaft hinterfragt wird, wie Michael Ballack, Lukas Podolski oder Philipp Lahm aussehen, da geht es mehr darum, dass sie Führungspersonen, gute Spieler oder nette Kerle sind. Es geht bei ihnen nicht darum wie sie aussehen. Und leider ist es ganz offensichtlich so, dass auch bei dieser Frauenfußball-WM immer noch mit diesem Weiblichkeitsding geworben wird. Wenn die OK-Chefin Steffi Jones sagt, dass es toll ist, dass nicht nur Fußball schön ist, sondern auch sie als Spielerinnen, da denke ich mir: Das ist doch egal, ob die Spielerinnen schön anzugucken sind oder nicht, schließlich geht es um den Sport. Dementsprechend glaube ich nicht, dass die klassischen Rollen aufgebrochen werden. Im Gegenteil, an manchen Stellen habe ich sogar das Gefühl, dass diese weiter zementiert werden. Dann wird sogar gesagt, wenn die eine oder andere Spielerin sich für den Playboy ausziehen will, dann ist das nicht schlimm. Das ist für mich eine klassische Haltung dafür, dass Frauen auf ihr Äußeres reduziert werden und wenn sie nebenbei noch Erfolg haben ist das gut, aber das ist nicht das Wichtigste.

Wie kann die diesjährige Frauenfußball-WM den Gedanken der Geschlechtergerechtigkeit und insbesondere der Emanzipation der Frau weltweit unterstützen?

Ich glaube, dass die Spielerinnen durchaus emanzipierte Frauen sind. An ihren öffentlichen Äußerungen sieht man ja auch, dass die ihren eigenen Kopf haben und sich nicht unhinterfragt für alles hergeben. An der einen oder anderen Stelle hätte man vielleicht aber ein bisschen mehr vom DFB erwarten können, zum Beispiel ob das Motto „20elf von seiner schönsten Seite“ sein muss oder ob auch ein größerer Sportbezug hätte stattfinden können. Man darf aber auch nicht vergessen: Sportlerinnen sind auch nicht in erster Linie dafür da, um politische Geschlechterkämpfe auszufechten, sondern um Fußball zu spielen. Dementsprechend glaube ich, dass die Frauen, die diesen Sport betreiben, emanzipierte Frauen sind. Außerdem hat die WM natürlich eine große Strahlkraft. Wir werden in Deutschland eine große Frauenfußballparty feiern und da werden Frauen aus aller Welt zeigen, dass sie gute Fußballerinnen sind. Und das man nicht nur dann eine gute Party mit Public-Viewing und Fähnchen feiern kann, wenn die Männer spielen, sondern dass das auch bei Frauen funktioniert. Auch über die Nationen, die bei der Fußballweltmeisterschaft teilnehmen hinaus, gibt es in ganz vielen Ländern Frauen die Fußball spielen wollen. Vielleicht nicht immer in jedem Gebiet der Welt und nicht immer mit Nationalmannschaft oder mit einer professionellen Struktur. Trotzdem gibt es überall auf der Welt Frauen die sagen „Wir wollen spielen“ und das teilweise sogar gegen politische und gesellschaftliche Widerstände machen. Beispielsweise in Afghanistan oder im Iran spielen Frauen Fußball. Oftmals müssen Frauen nicht nur die Widerstände oder die Vorurteile im eigenen Land überwinden, sondern müssen sich zum Teil mit dem Fußballverband auseinander setzen, beispielsweise wenn es um das Thema Kopftuch geht.

Wie stehen Topspielerinnen zum Feminismus, gibt es Botschafterinnen?

Das müsste man in erster Linie die Topspielerinnen fragen. Ich weiß nicht, ob eine von den Topspielerinnen sich dezidiert zu feministischen Ansichten bekennt oder sagt „Mir ist auch über meinen Sport hinaus wichtig das ein oder andere aus feministisch, emanzipatorischer Sicht zu transportieren.“. Natürlich ist es so, dass die Spielerinnen in der Öffentlichkeit wahr- genommen werden. Die jungen Spielerinnen, wie Fatmire Bajramaj oder Alexandra Propp sind durch ihre Art Vorbilder. Das sind natürlich erfolgreiche junge Frauen und die lassen sich, so wie man sie in der Öffentlichkeit wahrnimmt, nichts vormachen. Das ist schon eine Orientierung für andere junge Frauen, die sagen, ich möchte auch so etwas machen wie die. Das muss nicht dezidiert feministisch sein und es muss den Spielerinnen auch gar nicht bewusst sein, dass sie vielleicht eine Vorbildfunktion im Sinne von Frauenemanzipation haben. Ich glaube aber schon, dass sie eine bestimmte Wirkung haben.

In NRW werden an drei Orten, nämlich Mönchengladbach, Leverkusen und Bochum, Spiele der Fußballfrauen-WM ausgetragen. Als Abgeordnete des Landtags NRW bist Du mitten drin in den politischen Debatten. Wie wird die Frauenfußball-WM auf der Landesebene überhaupt wahrgenommen?

NRW ist ein absolutes Sportland. Das sagt NRW immer gerne von sich und ich denke das stimmt auch. Es ist nicht bloß eine Eigenübertreibung, weil man Werbung für sich machen möchte. NRW hat in den letzten Jahren immer gezeigt, wie sportbegeistert das Land und die Menschen sind.  Vor allem hat NRW aber gezeigt, dass es in der Organisation von Großevents stark ist. Die Männer-WM hatte zum Beispiel Standorte hier, die Handball-WM der Männer hatte Spielorte hier, die Eishockey-WM im letzten Jahr wurde auch zum Teil in NRW ausgetragen und mit den Gay Games im letzten Jahr in Köln haben wir auch das größte Breitensportereignis der Welt ausgetragen. NRW ist also nicht nur begeisterungsfähig für die Spitzenleistungen in diversen Sportarten, sondern wir haben auch ein tolles Fest des Breitensports gehabt, wo es eine breite und gute Unterstützung gab. Die Athletinnen und Athleten die hierher gekommen sind, die zum Teil auch aus anderen Ländern kommen in denen sie ihre Homosexualität nicht offen ausleben können, haben gesagt, es war ein tolles Erlebnis und eine tolle Sportparty. Deshalb glaube ich das NRW begeisterungsfähig ist und das es an den drei Spielorten eine tolle Stimmung geben wird. Leverkusen und Bochum haben „ein bisschen Pech“ damit, dass sie keine Spiele von Deutschland haben werden, Bochum ganz sicher und Leverkusen eventuell, aber wenn man sich anschaut, dass Bochum zum Beispiel bei U20-WM ein toller Gastgeber war, dann glaube ich, dass alle Spielorte in NRW eine tolle Party auf die Beine stellen werden.

Was macht die Landesregierung in NRW damit aus der FFWM ein dauerhafter Aufstieg des Frauenfußballs entsteht und Frauenfußball mehr Anerkennung findet?

Die Landesregierung hat über genau diesen Punkt im Sportausschuss berichtet. Was macht die Landesregierung zur Frauenfußball-WM und was macht die Landesregierung um das Ganze nachhaltig zu verankern. Es wird eine Reihe von kulturellen Veranstaltungen im Umfeld der Frauenfußball-WM geben. Es wird wissenschaftliche Veranstaltungen geben, wo die unterschiedlichsten Aspekte im Zusammenhang mit Frauenfußball aufgegriffen werden. Zum Beispiel die Geschichte des Frauenfußballs und da kommen natürlich auch wieder die Fragen auf, in wie weit spielen  Emanzipation und  Geschlechterrollen eine Rolle  im Frauenfußball. Es hat bereits Projekte in Grundschulen gegeben, wo Mädchen motiviert wurden Fußball zu spielen und sich aktiv im Sport zu engagieren. Diese Projekte sollen weiter geführt werden. Mädchen sollen weiterhin ermutigt werden und über Fußball an den Sport herangeführt werden. Man hat gesehen, dass Fußball die Sportart Nummer eins in Deutschland ist und dass sich immer mehr Mädchen für Fußball interessieren. Auf der einen Seite, weil der Männerfußball riesig in der Öffentlichkeit präsent ist, aber auch weil die Frauennationalmannschaft so viele Erfolge zu feiern hat.  Auch der Frauenfußball hat in der letzten Zeit mehr mediale Aufmerksamkeit. Immerhin ist Köln Austragungsort des DFB-Pokalfinales der Frauen und NRW damit Austragungsland. Und mit Mannschaften, wie dem FCR Duisburg haben wir auch ganz erfolgreiche Mannschaften, so dass ich glaube, dass da einiges an nachhaltigen Effekten sein wird.

Verrätst du uns zum Schluss, wer dein Lieblingsverein und deine Lieblingsspielerin ist?

Jetzt muss ich natürlich gestehen, dass mein Lieblingsvereine nicht aus NRW kommen. Meine Lieblingsvereine sind  Turbine Potsdam und im Männerfußball Eintracht Frankfurt Trotzdem  gehe ich immer gerne zu Spielen des FCR Duisburg, denn die machen auch sehr gute Arbeit und sind ein guter Vertreter für den NRW-Frauenfußball. Ja und meine Lieblingsspielerin kommt sogar vom FCR Duisburg. Meine Lieblingsspielerin ist nämlich Annike Krahn. Wenn ich aktiv spiele bin ich Abwehrspielerin und deswegen kann ich mich am ehesten mit Spielerinnen identifizieren die auch dafür zuständig sind, dass dahinten „nix anbrennt“. Zum Tore schießen eigne ich mich nicht so gut.  Was ich übrigens nicht mit Annike Krahn gemeinsam habe, denn die kann ganz gut Tore schießen!