Die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft und der lange Weg dorthin

Unter dem Motto “20Elf von seiner schönsten Seite” treten vom 26. Juni bis 17. Juli 2011 im Rahmen des sechsten FIFA Women‟s World Cup 16 Frauen-Nationalmannschaften im Land des Titelverteidigers Deutschland gegeneinander an.

Trotz der zahlreichen Erfolge des Frauenfußball-Nationalteams gilt Fußball noch immer als eine klassische Männerdomäne, die auch an traditionell männliche Geschlechterstereotype anknüpft, wie Aggressivität, Kraft, Risikobereitschaft und Konkurrenzverhalten (Kleindienst-Cachay & Heckemeyer, 2006). Steffi Jones, die Präsidentin des Organisationskomitees und gleichzeitig ehemalige Nationalspielerin betont hingegen Leidenschaft, Spaß und Dynamik als die wichtigsten Attribute des Frauenfußballs, die u.a. auch durch das Maskottchen „Karla Kick“ symbolisiert werden sollen. Laut FIFA-Marketingdirektor Thierry Weil fängt die Katze Karla Kick auf perfekte Weise Spielfreude, Anmut und Athletik des Frauenfußballs ein.

Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass das Fußballspiel der Frauen nicht unmittelbar mit dem der Männer verglichen werden sollte, wie auch Theo Zwanziger im Vorfeld der WM in einem Grußwort anmerkte (Zwanziger, 2010). Diese Aussage ist allerdings keinesfalls so zu verstehen, dass den Zuschauer/innen keine sportlich hochkarätigen Leistungen dargeboten werden. Vielmehr sind allein durch die physiologischen Unterschiede von Mann und Frau andere Qualitäten und unterschiedliche Vorgehensweisen in der Spielweise der Frauen zu beobachten. Hinzu kommt ein deutlicher Vorsprung des Männerfußballs in Bezug auf die Professionalisierung der Förderstrukturen und finanziellen Ressourcen. Mädchen und Frauen haben in den Fußballvereinen jedoch mittlerweile stark aufgeholt (Wopp, 2007). So verzeichnete der Deutschen Fußball-Bund (DFB) im Jahr 2000 noch einen weiblichen Mitgliederanteil von ca. 13% (826.787 Mädchen und Frauen), der im Jahr 2010 mit über eine Million Spielerinnen auf ca. 16% anstieg (DFB, 2011). Diese Entwicklung untermauert die auch in anderen Sportarten zu verzeichnende allmähliche Auflösung der klassischen Geschlechterordnung im Sport.

Gerade dem Fußballsport der Mädchen und Frauen kommt auf gesellschaftlich-kultureller Ebene eine große Bedeutung zu, da Fußball in unserer Gesellschaft einen außerordentlich hohen Stellenwert einnimmt. Das spiegelt sich einerseits in der hohen Präsenz in den Medien und andererseits in den alltäglichen Gesprächen der Menschen wieder. Aus diesem Grund sollte nicht nur die „eine Hälfte der Gesellschaft“ daran teilhaben. Die individuellen Chancen der Bewegungs- und Körpererfahrungen speziell dieser Sportart sollten vielmehr allen zugänglich sein. Darüber hinaus sollte jedem die Möglichkeit gegeben sein, von den finanziellen, strukturellen und fachlichen Ressourcen einflussreicher Verbände profitieren zu können.

Werfen wir an dieser Stelle einen kurzen Blick in die historische Entwicklung der Geschlechterdifferenzen im Bereich Sport und Bewegung zurück: Das Turnen Friedrich Ludwig Jahns Anfang des 18. Jahrhunderts war noch ausschließlich der körperlichen Ertüchtigung von Männern gewidmet. Ab 1830 wurde dieser in der damaligen Zeit selbstverständliche Ausschluss der weiblichen Bevölkerung allmählich aufgehoben – auch wenn es bei der zunehmenden Gymnastikangeboten für Frauen zunächst lediglich um krankengymnastische Übungen und eine Steigerung der Gebärfähigkeit der Frauen ging. Die immer größere Teilhabe der Frauen zeigt hier erfreulicherweise auch, dass eine Loslösung von den einengenden stereotypen Vorstellungen der Weiblichkeit und den typischen Rollenklischees voranschreitet (Kugelmann, 2007).

Auf der Ebene des Hochleistungssports wurden Sportlerinnen erst seit den 1950er Jahren nach und nach zu fast allen Sportarten zugelassen (Pfister, 2006). Das Fußballspiel mit identischem Regelwerk und gleicher Spielzeit wie bei den Männern ist den Frauen in Deutschland sogar erst seit 1993 gestattet. Diese historischen Fakten verdeutlichen, welch großer Wandel in der Geschlechterordnung des Sports in Richtung Chancengleichheit und gleichberechtigter Teilhabe bis heute stattgefunden hat.

Tatsächlich stellen Frauen heute sportartenübergreifend einen Anteil von immerhin 41% der Kaderangehörigen der Verbände an den Olympiastützpunkten (Anders, 2006). In deutschen Sportvereinen haben Mädchen und Frauen aller Altersklassen laut Sportentwicklungsbericht 2007/08 mittlerweile einen Mitgliederanteil von 35.8% (Breuer & Wicker, 2008). In kommerziellen Einrichtungen finden sich sogar kaum noch Geschlechterdifferenzen in der quantitativen Beteiligung (Burrmann, 2006). Nach den Mitgliederstatistiken der deutschen Spitzenverbände gibt es mittlerweile auch einige Sportarten, die von Mädchen und Frauen eindeutig dominiert werden: So überwiegt der Anteil an weiblichen Mitgliedern beispielsweise im Deutschen Turnerbund (69%), in der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (74%), im Sportakrobatik-Bund (70%) und im Verband für Modernen Fünfkampf (63%).

Ist für Jungen und Männer Fußball ‚die Sportart der ersten Wahl„, so haben Mädchen vielfältigere Interessen am Sport. Generell zeigt sich vor allem für die Jugendphase, dass Mädchen im Vergleich zu Jungen häufiger die Sportarten wechseln und auch für ‚geschlechtsuntypische‟ Sportarten wie Fußball offener sind. Die FIFA-Frauen-WM wurde denn auch als Anlass genommen, mittels der Schul- und Vereinskampagne TEAM 2011 unter der Schirmherrschaft von Silvia Neid (Bundestrainerin der deutschen Frauen-Nationalmannschaft) und Joachim Löw (Bundestrainer der deutschen Männer-Nationalmannschaft) noch mehr Mädchen für den Fußballsport zu begeistern.

In den Medien lässt sich allerdings in Bezug auf die Sportberichterstattung nach wie vor eine Geschlechterdifferenzierung beobachten. So dominieren in der tagesaktuellen Berichterstattung die Nachrichten über die Leistungen der Sportler. Trotz stetig steigender Partizipation von Frauen am Sport und Spitzensport, liegt der Anteil der Berichterstattung über sie nicht höher als 15%, wodurch ein Bild vom Sport konstruiert wird, in dem Frauen nur am Rande vorkommen (Rulofs & Hartmann-Tews, 2006). Lediglich bei großen Sportevents findet mittlerweile eine anteilsmäßig ausgewogenere Berichterstattung über Frauen und Männer statt.

Neben dieser quantitativen Unterscheidung in der Sportberichterstattung über Männer und Frauen lässt sich darüber hinaus auch ein qualitativer Unterschied feststellen. So dominieren in der Berichterstattung über Sportler eher Sportarten, die dem männlichen Stereotyp der aggressiven körperlichen Auseinandersetzung entsprechen (z.B. Boxen, Motorsport, Fußball) und bei Sportlerinnen eher Individualsportarten, die keinen direkten Körperkontakt zur Gegnerin erfordern (z.B. Tennis, Schwimmen) oder eine ästhetische Inszenierung beinhalten (z.B. Turnen). Neuere Studien zeigen allerdings auch hier eine allmähliche Aufweichung dieser stereotypen Zuordnung der Sportarten. Wieder einmal gilt dies jedoch mehr für die Frauen als die Männer, da Frauen neben den klassisch weiblichen auch in traditionell untypischen Sportarten gezeigt werden, wohingegen dies bei Männern eher nicht der Fall ist.

In diesem Zusammenhang kann auch die bevorstehende FIFA Frauen-WM einen Beitrag zur weiteren Auflösung der stereotypen Geschlechterdifferenzierung in den Medien beitragen. Darüber hinaus wäre ein solcher Wandel ebenfalls in der visuellen Inszenierung der Sportlerinnen wünschenswert, da in bisherigen Forschungsarbeiten eine deutliche Tendenz zur Ästhetisierung und Erotisierung des Sportlerinnen-Körpers festgestellt wurde (Rulofs & Hartmann-Tews, 2006). Dieses Phänomen wird sich in der kommenden WM trotz des plakativen Mottos “20Elf von seiner schönsten Seite” hoffentlich nicht bestätigen. Vielmehr sollten Leistung und Stärke weiterhin dominierende Faktoren der Sportberichterstattung über
Frauen sein – die FIFA-Frauen-Weltmeisterschaft wird diesbezüglich mit Sicherheit vielfältige Anlässe bieten!

 

 
Literatur
  • Anders, G. (2006). Geschlechtsbezogene Partizipation im Spitzensport. In Hartmann-Tews & B. Rulofs (Hrsg.), Handbuch Sport und Geschlecht (S. 164-174). Schorndorf: Hofmann.
  • Breuer, C. & Wicker, P. (2008).Sportvereine in Deutschland. Sportentwicklungsbericht 2007/2008 – Analyse zur Situation der Sportvereine in Deutschland. Köln: Deutsche Sporthochschule Köln.
  • Burrmann, U. (2006). Geschlechtsbezogene Partizipation im Freizeit- und Breitensport. In Hartmann-Tews & B. Rulofs (Hrsg.), Handbuch Sport und Geschlecht (S. 175-188). Schorndorf: Hofmann.
  • Deutscher Fußball-Bund (DFB) (2011). Der DFB. Mitglieder-Statistik. Zugriff am 16. Februar 2011 unter http://www.dfb.de/index.php?id=11015
  • Kleindienst-Cachay, C. & Heckemeyer, K. (2006). Frauen in Männerdomänen des Sports. In I. Hartmann-Tews & B. Rulofs (Hrsg.), Handbuch Sport und Geschlecht (S. 112-124). Schorndorf: Hofmann.
  • Kugelmann, C. (2007). Fußball – eine Chance für Mädchen und Frauen. In G. Gdawietz & U. Kraus (Hrsg.), Die Zukunft des Fußballs ist weiblich. Beiträge zum Frauen- und Mädchenfußball (S. 33-51). Aachen: Meyer & Meyer.
  • Neuber, N. (2006). Männliche Identitätsentwicklung im Sport. In Hartmann-Tews & B. Rulofs (Hrsg.), Handbuch Sport und Geschlecht (S. 125-138). Schorndorf: Hofmann.
  • Pfister, G. (2006). „Auf den Leib geschrieben“ – Körper, Sport und Geschlecht aus historischer Perspektive. In I. Hartmann-Tews & B. Rulofs (Hrsg.), Handbuch Sport und Geschlecht (S. 26-39). Schorndorf: Hofmann.
  • Rulofs, B. & Hartmann-Tews, I. (2006). Zur sozialen Konstruktion von Geschlecht in der medialen Vermittlung von Sport. In I. Hartmann-Tews & B. Rulofs (Hrsg.), Handbuch Sport und Geschlecht (S. 230-242). Schorndorf: Hofmann.
  • Wopp, C. (2007). Zukunftsfaktor Frauenfußball. In G. Gdawietz & U. Kraus (Hrsg.), Die Zukunft des Fußballs ist weiblich. Beiträge zum Frauen- und Mädchenfußball (S. 9-32). Aachen: Meyer & Meyer.
  • Zwanziger, T. (2010). FIFA Frauen-WM 2011 – Grußwort DFB-Präsident. WM-Ausrichtung verleiht kräftigen Schub. Zugriff am 31. Januar 2011 unter http://www.dfb.de/index.php?id=501432