Ursula von der Leyen bespielt die politische Bühne mit dem Stück „Zuschussrente“, wohinter sich die – ob gewollt oder nicht, sei an dieser Stelle unerheblich – fundamentale Diskussion zur Zukunft des Rentensystems und damit auch die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit stellt.
Dabei ist aus einer politischen Sichtweise heraus, die halbwegs nachhaltig orientiert ist, nun weniger interessant, ob und wie sehr das Arbeitsministerium bei der Datengrundlage manipuliert hat. Vielmehr ist der Ansatz der Liberalen zu nennen, ob Verteilungsgerechtigkeit nur beitragsfinanziert innerhalb des Rentensystems herzustellen ist oder ob Altersarmut ein gesamtgesellschaftliches Problem und damit steuerfinanziert sein sollte. Aber auch diese Debatte greift zu kurz, selbst wenn man nur die Finanzierbarkeit als das Hauptproblem betrachtet. So lange die Haushaltskonsolidierung ein Hauptziel der politischen Arbeit ist, führt eine weitere Belastung des Haushalts zu Kürzungen an anderer Stelle und schiebt damit das Gerechtigkeitsproblem einfach nur etwas weiter weg ohne es zu lösen.
Das eigentliche Problem wird dabei interessanterweise von allen Akteuren angerissen, aber nie wirklich genannt: Mit der Diskussion um die Zuschussrente wird stellvertretend eine einfache, aber fundamental wichtige Frage diskutiert: Was können „wir“ (in diesem Fall der Sozialstaat) uns leisten und was davon wollen wir uns leisten können?
Wie eben beschrieben entspricht es der momentanen politischen Hegemonie, dass Haushaltskonsolidierung ein formal vorrangiges politisches Ziel ist, um das Problem der Staatsverschuldung zumindest nicht weiter zu vergrößern – wenn es denn nicht zu lösen ist. Unter diesem Vorbehalt wurden schon immer sozialpolitische Maßnahmen („Wer soll das bezahlen?“) diskutiert und nun äußerst kritisch betrachtet.
Das beitragsfinanzierte Rentensystem wird dabei jetzt schon mit Steuermitteln gestützt, weil sich sozialpolitisch seit Bismarcks Zeiten darauf geeinigt wurde, dass der deutsche Staat gegenüber seinen Bürgern zur materiellen Versorgung im Alter als Ausgleich für ein langes fügsames und strebsames Bereitstellen der eigenen Arbeitsleistung verpflichtet ist. Dieses im Gesellschaftsvertag festgehaltene Versprechen, dass sich die Jungen um die Alten kümmern und der Staat dies zu organisieren hat, scheint ein wichtiger Bestandteil für den sozialen Frieden und damit für die Legitimation des Staats zu sein. Vor diesem Hintergrund sind die Aussagen eines Norbert Blüm („Die Rente ist sicher.“) nicht weniger als der Versuch anzusehen, dem wachsenden gesellschaftlichen Vertrauensverlust in die soziale Ordnung im Allgemeinen und der politischen Elite im Besonderen etwas entgegen zu stellen – selbst wenn die Realität damals wie heute eine ganz andere war.
Wohin ein schwindender Vertrauensverlust gegenüber dem Staat als ordnende Kraft und der Sozialordnung führen kann, ist momentan in Griechenland und Rumänien eindrucksvoll zu beobachten. Es stellt sich daher auch hier die drängende Frage, was sich der deutsche Sozialstaat in Zukunft leisten kann und will und was genau in diesem Fall Gerechtigkeit bedeutet. Wollen wir uns weiterhin leisten können, dass sich im Rentensystem „Leistung lohnt“ und damit die Dauer und Höhe der Einzahlungen maßgeblich für die Rentenhöhe entscheidend sind? Bedeutet Gerechtigkeit nicht aber auch, dass nach lebenslangem Arbeiten ein Rentenleben in Würde und damit auch in finanzieller Absicherung möglich sein muss? Muss diese Absicherung allein durch eine staatliche Rente gewährleistet sein oder sollten dazu alle zusätzlichen Renten einberechnet werden? Ist es vor diesem Hintergrund gerecht, dass privat Vorsorgende ihre mühsam ersparte Riesterrente voll auf die Mindestrente angerechnet bekommen und damit nach 30 Jahren Mindestverdienst überhaupt keinen finanziellen Vorteil im Alter, aber finanzielle Nachteile im Erwerbsleben gegenüber den NichtsparerInnen haben?
Die aktuelle Debatte ist daher nur der Beginn eines großen Knall, der stetig auf uns zurast. Letztendlich ist es eine politische Frage: Bei einer nur begrenzt vorhandenen Menge an Geld, müssen Prioritäten gesetzt werden und – diese Diskussion wird kommen – bisher vom Staat übernommene Aufgaben auf die (Zivil-) Gesellschaft und die BürgerInnen zurückübertragen werden. Daher kann die Rentendiskussion der Beginn einer grundsätzlichen Debatte darüber sein, wie das zukünftige Verhältnis zwischen staatlichen Förderungen auf der einen Seite und gesellschaftlichen Forderungen an jeden Einzelnen auf der anderen Seite sein sollte.
Nachhaltige Politik darf dabei nicht nur finanzielle Nachhaltigkeit bedeuten, sondern muss vor allem gesellschaftliche Nachhaltigkeit ins Zentrum stellen. Nicht nur die Frage, wie wir in 20 Jahren leben können, sondern wie wir zusammenleben wollen, muss beantwortet werden. Sofern man davon ausgeht, dass „Arbeit“ – in welcher Form auch immer sie zukünftig ausgeübt wird – ein zentraler Bestandteil bleiben wird und damit auch eine integrative Wirkung hat, muss eine an gesellschaftlicher Nachhaltigkeit orientierte Politik nicht nur die Erschaffung von „Arbeit“, sondern auch das Ausführen von „Arbeit“ fördern. Vor diesem Hintergrund scheint das Versprechen unabdingbar, dass selbst in einer gegenwärtigen Ungewissheit des „Arbeitslebens“ das zukünftige Jenseits des „Rentenlebens“ materiell abgesichert ist.
Dass dieses momentan heiß diskutierte Konfliktfeld schon lange bekannt ist und dementsprechend auch langfristig angelegte politische Lösungen braucht wurde schon 2009 im Rahmen des Fachgesprächs „Zukunft der Rente – Rente der Zukunft“ der Heinrich Böll Stiftung NRW diskutiert.
Im Rahmen des Fachgesprächs wurden unter anderem die das Rentenmodell der katholischen Sozialverbände (ein Ausbau der bestehenden Versorgung innerhalb des Rentensystems plus Verstärkung der betrieblichen und privaten Vorsorgeleistungen), das Modell der Garantierente der GRÜNEN Bundestagsfraktion (eine steuerfinanzierte Mindestrente, die sich an durch sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten bemisst) und der kontroverse Vorschlag von Rainer Daams zur Systemumstellung auf ein kapitalgedecktes Rentensystem. Mehr Informationen sind in unserer Tagungsdokumentation (PDF, 2 MB) nachzulesen.
Wir wünschen viel Spaß beim Nachlesen und beim Diskutieren, denn:
"Einmischung ist die einzige Möglichkeit realistisch zu bleiben." (Heinrich Böll)