Sylvia Löhrmann (Bündnis '90/ Die Grünen) war von 2010 bis 2017 Ministerin für Schule und Weiterbildung sowie stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen.
Liebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren, lieber René Böll,
es ist mir eine besondere Freude und Ehre, Euch und Sie heute mit den Preisträgerinnen und Preisträgern des 17. Heinrich für 2019/20 bekannt machen zu dürfen.
Seit 2004 vergibt die Heinrich Böll Stiftung NRW jährlich den Ideenpreis „Der Heinrich“. Die Böll-Stiftung zeichnet mit diesem wunderbaren Preis Projekte aus, die im Rahmen zivilgesellschaftlichen Engagements Außerordentliches geleistet haben; Projekte, die nachhaltig wirken und – wie auch auf der Internetseite der Stiftung zu lesen ist, zudem – ich zitiere „Müde und Zweifelnde zum Nachmachen ermuntern“.
Das ist in Zeiten wie diesen notwendiger denn je. Ich habe mich in den letzten Jahren oft und immer wieder gefragt, wie es Heinrich Böll wohl derzeit mit den „sozialen Medien“ ergangen wäre. Wie er sich mit fake news, Lügenpresse, der geforderten 180-Grad-Wende der Erinnerungskultur oder gar dem „Fliegenschiss der deutschen Geschichte“ auseinander gesetzt hätte.
Heinrich Böll, der schon in Zeiten der analogen Medien Hass und Verleumdungen ausgesetzt war wie kaum ein anderer in der Nachkriegszeit. Wir wissen es nicht! Was wir aber sicher wissen ist, dass Heinrich Böll sich mit allem in seiner Macht Stehenden dagegen gewehrt hätte, einen Schlussstrich zu ziehen, die Verantwortung der Deutschen für die Verbrechen im 20. Jahrhundert, die beiden Weltkriege und allem voran die Shoah, auch nur einen Deut zu relativieren oder in Vergessenheit geraten zu lassen. Schließlich war er einer der maßgeblichen Begründer der Erinnerungskultur der Nachkriegszeit.
Steffen Kopetzky hat uns eben davon ein eindrückliches Beispiel gegeben. Vor diesem Hintergrund passt die Wahl der Jury für den 16. Heinrich zu Heinrich Böll und in die Zeit!
Liebe Freundinnen und Freunde,
der diesjährige Heinrich wird dem „Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e.V. verliehen. Dieses aktive Netzwerk wurde 1995 für die Opfer des Nationalsozialismus gegründet und bündelt heute die Aktivitäten der verschiedenen Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen.
Deren Arbeit geht über das Erinnern an die Verbrechen der Nazizeit weit hinaus. Die Gedenkstätten verstehen sich als Bildungsorte par excellence: für alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, besonders aber als außerschulische Lernorte für Schülerinnen und Schüler wie auch für Auszubildende. Die Nachfrage wächst: Laut Rheinischer Post haben im vergangenen Jahr annähernd 400.000 Menschen die 28 NS-Gedenkstätten besucht.
Der Arbeitskreis, also die Institution, die wir heute stellvertretend auszeichnen, vernetzt nicht nur die Arbeit der NS-Gedenkstätten untereinander und unterstützt deren Professionalität und Aktualität. Darüberhinaus kooperiert er auch mit anderen Partnern im Bereich der Erinnerungskultur und der politischen Bildung. Beispielhaft seien ‚demokratie leben’ von der Landeszentrale für politische Bildung, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, das Bildungswerk der Humanistischen Union wie auch ganz konkret die von Karin Feldmann schon genannten ‚Wege gegen das Vergessen‘ hier in Aachen genannt.
Liebe Freundinnen und Freunde,
wenn es eine solche Vernetzungsagentur nicht gäbe, müsste sie spätestens jetzt gegründet werden. In Zeiten, in denen der Antisemitismus wächst und sich brutal und geschichtsvergessen zeigt. In Zeiten, in denen Friedhöfe geschändet und Synagogen angegriffen werden. Der schreckliche Anschlag in Halle ist nur die Spitze des Eisbergs. Sich dagegen zu wehren, dagegen zu kämpfen ist nicht die Aufgabe von Jüdinnen und Juden. Es ist unsere Aufgabe! Einen unschätzbaren Beitrag dazu leisten die NS-Gedenkstätten und der genannte Arbeitskreis. Sein Gesicht und Kopf ist Professor Alfons Kenkmann.
Lieber Herr Kenkmann, ich darf Sie nun nach vorne bitte und möchte Ihnen herzlich gratulieren zur Auszeichnung mit unserem Heinrich. Stellvertretend für alle, die im Arbeitskreis und in den Gedenk-, Erinnerungs- und Bildungsorten so engagiert wirken.
Es ist Arbeit an unserer Demokratie und für unsere Demokratie.
Herzlichen Dank und alles, alles Gute für Ihre weitere Arbeit. Sie ist unverzichtbar, und - ich fürchte - wir werden sie noch eine Weile brauchen. Wie heißt es so schön in unserem Tagungsmotto? „Es geht darum, Raum für Mut freizuhalten.“ - Auch dazu trägt sie bei.