Mutterkult und Rabenmütter - Zwischen Kindeswohl und Selbstverwirklichung

Früher blieben Mütter zu Hause, heute auch?!

Die goldenen 50er Jahre waren die wohl letzte Bastion des klassischen Hausmütterchen-Daseins. Was richtig und gut war, brachte nicht nur die Maggiwerbung auf den Punkt: Frauen gehörten nach Hause an den Herd, sahen schön aus und zogen mit ihrer ganzen Mutterliebe die Kinder groß. Heute ist das natürlich ganz anders! Es kamen die 68er, die Frauenbewegung, das Recht darauf, dass eine Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist (wenn auch erst seit 1997). Sicherlich, es hat sich vieles geändert. Vor allem aber, dass  Frauen- und Männerbilder seit den 1950er Jahren nicht mehr eindimensional sind. Die scharfen Konturen, die zwischen Kochlöffel und strammem Männerbizeps unterschieden, sind verschwunden. Ebenso das lang propagierte Mutterbild. Richtig?

Im Jahr 2011 angekommen sind die veränderten Geschlechterrollen scheinbar immer noch neu und beide Geschlechter bis oben hin voll mit Erwartungen und Verpflichtungen. Erst recht wenn die Kinder kommen. Das Resultat ist eine Gesellschaft, die sich ihrer Mütter(bilder) nicht mehr sicher ist. Die Ökomütter folgen dem Mutterkult, inhalieren die Informationen von neuen Trendzeitschriften, wie Modern Mum, die eine Stillzeit von Minimum sechs Monaten predigen. Alles andere wäre fatal. Die Latte-Macciato-Mütter sind top ausgebildet, leben in Szenevierteln, wie dem Prenzlauer Berg und haben sich eine Auszeit genommen, weil sie es sich leisten können und das mit ihrem arbeitenden Freund/Mann einfach gut passt. Sie sind hip, gut informiert über frühkindliche Bildung und doch nur zu Hause geblieben. Daneben gibt es noch die Frauen, die alles unter einen Hut bekommen: erfolgreiche Karriere und fabelhafte Kinderziehung. Ganz im Sinne des neokonservativen Weibsbildes. Zu guter letzt stehen die Mütter, vielleicht alleinerziehend, die arbeiten müssen! Viel, lange und schlecht bezahlt, möglicherweise ohne Kita-Platz, so dass die Erziehung fast unausweichlich auf der Strecke bleibt. Interessanterweise wird auf die eine oder andere Weise über jede dieser Mütter die Nase gerümpft. Ebenso, wie über die Väter, die nicht nur dem alten Versorgermodell entsprechen wollen.

Egal, ob in Berlin oder im ländlichen Schwabenland, Mutter sein heute bedeutet mit individuellen, gesellschaftlichen und politischen Ansprüchen konfrontiert zu sein. Die erste sichtbare Konfliktlinie ist der Clash von Beruf und Kindererziehung. Hier muss jede Mutter erstmal für sich selbst entscheiden, ob sie finanziell und mental damit zu Recht kommt zu Hause zu bleiben oder ob sie ihr Kind schnellstmöglich in einer Kita unterbringt, um ihren berufliche Werdegang weiter zu verfolgen.  Es stellen sich Fragen, wie: Was tut mir gut? Möchte oder kann ich eine Auszeit haben? Fällt mir zu Hause die Decke auf den Kopf oder bedeutet zu Hause zubleiben, dass mir endlich wieder alle Türen zur Selbstentfaltung offen stehen? Individuell bedeutet allerdings nicht nur den Blick auf die Mutter zu öffnen, sondern auch auf das Kind. Was braucht das Kind? Kann das spezielle Kind im Babyalter mit der täglichen Trennung von der Mutter leben? Alles eine Frage des Kindeswohls! Mit dieser Auseinandersetzungen nicht genug, denn es steht der nächste Affront ins Haus. Entscheidet sich die Mutter für’s Zuhausebleiben und dafür ihr Kind mit der täglich Rundum Versorgung zu erziehen, so steht sie im Ruf, ihren Beruf geopfert und den leichten Weg des Hausfrauendaseins genommen zu haben. Ist es anders rum, so steht eine Brigade an KritikerInnen bereit, um darauf hinzuweisen „Nichts ist so ausschlaggebend für die emotionale und körperliche Entwicklung eines Menschen wie die Mutter.“ (Freitag 2010, Quelle: http://www.freitag.de/wissen/1049-schmaler-grat-ins-leben) Pfui Teufel also, wenn die Mutter ihr Kind nicht mit monatelanger Hingabe ihrer Brust, sondern nur noch mit ihrer  Milch versorgt und tagsüber vielleicht beim Vater oder einer Tagesbetreuung lässt.

Bis jetzt fehlt ein gesellschaftliches Verständnis dafür, dass verschiedene Modelle des Mutterdaseins funktionieren dürfen, ganz individuell angepasst auf die Bedürfnisse der Mutter, des Kindes und im Angesicht der finanziellen und familiären Situation. Unumstößlich ist, dass eine alleinerziehende Mutter, ohne betreuungsfreudige Großeltern in der Nähe, mehr auf einen Kita-Platz und Eigenfinanzierung angewiesen ist, als der Klassiker: Zwei Elternteil plus Kind, im Bestfall mit doppeltem Gehalt.

Am Ende des Tages ist es die Politik die hier ausgleichen und Entscheidungsfreiheit für individuelle Familiengestaltung schaffen müsste. Noch werden Familien- und Mütterbilder, die vom klassischen Familienbild abweichen, sicherlich nicht in Gänze gefördert und akzeptiert, so lange Ehegattesplitting und Diskussionen um die Notwendigkeit der Herdprämie, laufen.  Auch der Kampf um Betreuungsplätze für Kinder fällt in erster Linie auf diejenigen zurück, die bisher nicht dem konservativen Familienbild entsprechen. Wie viel notwendige Entscheidungsfreiheit bleibt auf der individuellen Ebene für Mütter, die neuen Väter und die Bedürfnisse ihrer Kinder also übrig? Die Devise lautet, wer Geld hat, hat Möglichkeiten und wer es nicht hat, der wird das Elterngeld im Jahr 2011 gekürzt und als Hartz-IV-EmpfängerIn komplett gestrichen. Neben diesen Offensichtlichkeiten führt die ungleiche Bezahlung von Mann und Frau mehr als einmal dazu, dass es für Paare aus finanzieller Sicht logischer erscheint, wenn der Mann arbeiten geht.

Auch wenn der Feminismus ganz offensichtlich noch nicht in den oberen Riegen der PolitikerInnen angekommen sind,  stellt sich bei den meisten Frauen die Frage: Was wollen, sollen, dürfen, können die Mütter und ihre Kinder von heute? Und was müssen sie verlangen?

 
 

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