Ressentiment, nicht Kritik

Kommentar

Die Angriffe auf Wahlkampfteams und Kommunalpolitiker:innen kommen nicht unerwartet. Denn Rechte schüren Ressentiments gegen demokratische und emanzipatorische Politik. Ein Beitrag der Fachstelle Bildungsallianzen gegen rechte Ideologien der Heinrich-Böll-Landesstiftungen

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Gegen rechte Kampagnen und Angriffe – wir stehen hinter euch!

Nach dem schweren Angriff auf den Europapolitiker der SPD, Matthias Ecke, kamen Tausende zu Demonstrationen in Dresden und Berlin zusammen. In Dresden sprachen zahlreiche Politiker:innen, darunter auch CDU-Politiker:innen. Das ist wichtig. Doch klar ist auch: Die Angriffe der letzten Wochen sind nicht vom Himmel gefallen. Seit Jahren spitzt sich die Hetze gegen demokratisches, menschenrechtsorientiertes Engagement zu – und insbesondere gegen emanzipatorisches, alternatives Engagement. Das betrifft viele Ehrenamtliche aus Zivilgesellschaft und Aktivismus, aber auch die örtliche Basis der Parteien.

Die Angriffe sind nicht neu, das Kommunalwiki der Heinrich-Böll-Stiftung führt eine Liste über Hassangriffe auf Kommunalpolitiker:innen. Doch in den letzten Jahren wurde es breiter, kontinuierlicher, intensiver. Von „rechtem Mobbing“ gegen demokratische Kommunalpolitiker:innen wird in der Opferberatung bereits gesprochen: die Pöbeleien auf der Straße, Hate Speech in den Sozialen Medien, die ständigen Flyer im Briefkasten, die sagen: „Wir wissen, wo du wohnst.“ Bedrohung und körperliche Angriffe sind das Resultat. Doch schon Mobbing ist gefährlich, es schüchtert ein und kann im schlimmsten Fall krank machen.

Betroffen sind also alle Demokrat:innen, denn extreme Rechte hetzen gegen Demokratie: „Volksverräter“, „Lügenpresse“, „Gutmensch“, „verschworene Elite“ – diese Ressentiments sind so verbreitet, dass Gewöhnung und Abstumpfung Einzug halten; dabei ist es jedes Mal die geballte Verachtung von Demokratie und von Menschen.

Rechte verwischen strategisch den Unterschied zwischen Demokratie und Antidemokratie. Alle, die für Demokratie stehen, werden so als Zielscheibe für Frust und Hass preisgegeben.

Viele Antidemokrat:innen nutzen dabei eine Strategie, die die Frankfurter Schule schon in den 1940er Jahren kritisch analysierte. Rechte greifen die staatliche Ordnung nicht offen an, sondern diffamieren stattdessen das politische Personal so heftig, dass dies auf die Institutionen ausstrahlt. Das fördere Desillusionierung, „während man gleichzeitig Lobreden auf den Staat als solchen hält und scheinbar Respekt für seine Institutionen fordert.“[1] Das befördert das Gefühl, dass „alle Ideale und Werte und der Schutz durch Institutionen Illusionen seien.“[2] An vermeintlich gegenstandslose Regeln muss sich niemand halten. Und so kann man die eigenen autoritären Ziele und Strategien rechtfertigen und zugleich alle anderen herabwürdigen und als die ,Feinde der Demokratie‘ verschmähen. Dann stellen Antidemokrat:innen sich selbst als die ,wahren Demokraten‘ im Kampf gegen Unterdrückung, ,Meinungsdiktatur‘ und ,Umerziehung‘ dar. So verwischen sie den Unterschied zwischen Demokratie und Antidemokratie, gängige Strategie nicht erst seit Pegida. Alle, die für Demokratie stehen, werden so als Zielscheibe für Frust und Hass preisgegeben.

Besonders hart triff das Frauen, Queers, People of Color und alle anderen Minderheiten. Denn sie sind bereits vorher konfrontiert mit Antifeminismus, Queerfeindlichkeit, Alltagsrassismus, institutioneller Diskriminierung oder Antisemitismus. Sie werden besonders rabiat angegangen, denn sie verkörpern für die Rechten Vielfalt, Feminismus, Offenheit und Demokratie – durch ihre Person, durch Zuschreibungen und durch ihr Engagement. Und in diesen Angriffen und Beleidigungen verbinden sich die Ideologien der Ungleichwertigkeit und der Antidemokratie; sie sind herausragend bedrohlich.

Eine weitere Gruppe bekommt es gerade sehr derb ab und das sind Politiker:innen der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Aktivist:innen grüner Themen wie Klimagerechtigkeit und Menschen, die mit den Grünen in Verbindung gebracht werden. Die Grünen erleiden die meisten Angriffe aller Parteien, in Deutschland und in Sachsen (Sächsische.de): Misthaufen vor Parteibüros, Blockaden, körperliche Angriffe. Davor und danach werden die Grünen zum Endgegner erklärt, aus der Gemeinschaft aussortiert und für alles verantwortlich gemacht, was (vermeintlich) schiefläuft. Und an diesem Punkt beteiligen sich Konservative, Markus Söder ist nur ein prominentes Beispiel (Panorama), anstatt sich als Demokrat:innen gemeinsam gegen antidemokratische Kampagnen zu stellen. Die Grünen sind ein bequemes Feindbild.

Grünenfeindlichkeit ist ein Ressentiment

Die Feindlichkeit gegen die Grünen wird viel zu oft geduldet und erduldet. Dabei muss klar sein: Mit inhaltlicher Kritik an Politik, Programm und Partei hat das nichts zu tun. Auch nicht mit jener Polemik, die man aushalten muss, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Die Grünen werden aggressiv und aufgrund von Ressentiments angegangen. Kurz und vereinfacht ist ein Ressentiment eine Ablehnung, die sich aus Gefühlen des Neids, der Unterlegenheit und der Frustration speist. Das wird aber nicht durchdacht, sondern richtet sich gegen Personen, denen man Schuld zuweist und die man ab dann wie ein Objekt behandelt, an dem der eigene Frust auszulassen ist. Das scheint legitim.

Der Begriff Ressentiment kann dazu beitragen, die antigrünen Stimmung und Taten zu verstehen und von Kritik zu unterscheiden. Das Ressentiment kommt reflexhaft – „ich höre grün, dann sehe ich rot“. Es stellt keine Fragen, sondern kennt nur Anschuldigungen. Es nimmt das Gegenüber gar nicht mehr als Mensch wahr, sondern als Objekt. Das Ressentiment misst sich dabei nicht an der Realität: So werden die Grünen für die ganze liberale Moderne (Vielfalt, Migration, Globalisierung) und ihre Zumutungen (Armut, Energiekrise) in Haftung genommen und dafür gehasst. Ob ihre Politiken dem tatsächlich entsprechen, ist für das ressentimentgeladene Handeln gar nicht von Relevanz.

Die Grünen als Hassobjekt sind dabei Teil rechter Strategien. Der Historiker Volker Weiß schrieb im Juli 2023 in der Süddeutschen Zeitung:

„Durch die Echokammern des rechten Randes wabert seit einiger Zeit ein neuer Kampfbegriff. Agitiert wird gegen den ,Milliardärssozialismus‘, der als eine Chimäre aus internationalem ,Big Business‘ und Obrigkeit vorgestellt wird. Als Endform des ,woken Kapitalismus‘ soll er unter dem Deckmantel des Klimaschutzes die Menschen unterjochen, Vollstrecker des Planes seien die Grünen. Das ist eine bemerkenswerte Volte, musste sich die Ökopartei doch jahrzehntelang Welt- und Wirtschaftsferne vorhalten lassen. Nun sollen sie die aggressivsten Agenten des großen Geldes sein.“

Die Grünenfeindlichkeit trifft hier auf Verschwörungsmythen und antisemitische Welterklärung. Diese Erzählung diene der AfD dabei, ihre inhaltlichen Widersprüche in der Wirtschaftspolitik zuzudecken – marktradikale Positionen auf der einen und völkisch protektionistischen Positionen auf der anderen Seite.

Zudem ist die Grünenfeindlichkeit strukturell dem Antifeminismus nahe: Denn es geht immer auch um Geschlechter- und Rollenbilder, um Frauen und Queers in der Politik, und darum wie Politik gemacht werden soll: Geht es um Härte, Durchregieren, Herrschaft oder auch um Kooperation, Kommunikation? Darf es Schwäche und Offenheit für Fehler geben? Hier geht es nicht darum zu behaupten, dass die Grünen dies optimal tun; sie werden aber damit identifiziert. Wie oben geschrieben: Das Ressentiment misst sich nicht an der Realität.

Nicht dulden und nicht erdulden

„Wenn es eine Brandmauer gegen die AfD gibt: Warum gibt es keine gegen die Grünen?“, fragte ein CDU-Mitglied den Vorsitzenden Friedrich Merz, und sondert so die Grünen aus dem demokratischen Spektrum aus. Die Union macht sich in Teilen gemein mit der Hetze gegen die Grünen und lässt dabei den politischen Wettstreit weit hinter sich, wenn sie auf die Mär von „Die Grünen sind an allem schuld“ einsteigt. Die Partei positioniert sich zu wenig, nicht deutlich und nicht geschlossen genug. Selbst bei rechten Angriffen gegen ihre eigenen Parteimitglieder bleibt die Union zu leise.

Aber langfristig wird die CDU damit nicht gewinnen, wenn sie andere Parteien den Rechten zum Fraß überlässt. Wer hofft, beim Mitschimpfen auf die anderen von rechts verschont zu bleiben, wird damit nicht erfolgreich sein. Auch konservative Kommunalpolitiker:innen werden angegriffen, vor allem wenn sie sich menschenrechtsorientiert äußern, etwa in Fragen der Unterbringung Geflüchteter. Und darüber hinaus: Wenn es einmal gesetzt ist, dass man Grüne und Linke, Demokrat:innen, Ehrenamtliche – Kolleg:innen und Nachbar:innen – nach Lust und Laune bepöbeln, beleidigen und einschüchtern darf, warum sollte das vor irgendwem Halt machen? Für alle Demokrat:innen gibt es bei dieser Taktik nichts zu gewinnen, demokratische Gesellschaft braucht Respekt und Toleranz.

Entschuldigungen und Defensive helfen nicht gegen rechte Agitation. Die Angriffe von rechts und die Verteidigung dagegen müssen endlich ganz oben auf die politische Agenda. 

Aber auch die am stärksten betroffenen Parteien können mehr tun. Die Solidarität untereinander ist hier groß, im Lokalen und mit rechten Mehrheiten ist das ohnehin meist klar. Aber es kann mehr getan werden für Selbstschutz, für Solidarität untereinander und für Selbstbewusstsein gegen diese Ressentiments. Entschuldigungen und Defensive helfen nicht gegen rechte Agitation. Emanzipatorische Politik muss und darf hier offensiv auftreten und sich nicht verstecken. Wer als Feministin angegriffen wird, sollte weiter für feministische Politik streiten, und nicht versuchen, die Angreifer:innen irgendwo abzuholen. Das ist auch Solidarität mit den vielen Engagierten vor Ort, aus Zivilgesellschaft und Parteien, die ihr solidarisches Handeln jeden Tag stehen müssen und die Stärke im Rücken brauchen.

Selbstredend entbindet das nicht, die eigene Politik zu reflektieren und sich kritisch mit und innerhalb der eigenen Partei auseinanderzusetzen. Fehler werden gemacht und dafür muss man Kritik aushalten, auch unangenehme. Wo aber Kritik in Ressentiment umschlägt, darf man sich abgrenzen. Anstatt sich daran abzuarbeiten, ist es wesentlich, politische Ideen zu entwickeln und umzusetzen.

Betroffene von Antisemitismus, Rassismus, Sozialchauvinismus, Queerfeindlichkeit und anderen Ideologien der Ungleichwertigkeit brauchen jeden Rückhalt. Sie sind die ersten, die angegriffen werden. Politiker:innen stehen nun verstärkt im Fokus – das entlastet die anderen Betroffenengruppen nicht, im Gegenteil. „Es ist jetzt nicht die Zeit, nachzulassen, sondern alles zu geben und daran zu setzen, dass wir weiterhin in einer offenen, demokratischen, vielfältigen Gesellschaft leben“, sagte Andrea Hübler von der RAA Sachsen auf der Dresdner Solidaritätskundgebung anlässlich der rechten Angriffe auf Wahlkämpfer:innen. Die Angriffe von rechts und die Verteidigung dagegen müssen endlich ganz oben auf die politische Agenda.

Es hat nichts mit dir zu tun, aber es betrifft dich

Es ist wichtig, den Grünenhass weniger „persönlich“ zu nehmen; denn er hat mehr mit dem aggressiven Gegenüber und extrem rechten Einstellungen zu tun als mit Grüner Politik und meist rein gar nichts mit dem Handeln der angegriffenen Ehrenamtlichen vor Ort. Selbes gilt für Angriffe und Verleumdungen anderer demokratischer und progressiver Politik.

Dennoch hat erlebte Feindlichkeit Auswirkungen auf das eigene Leben: Rechte Bedrohung, Hate Speech und rechtes Mobbing machen Angst, können lähmen und sogar psychisch krank machen. Rechte Bedrohungsallianzen verbinden jene, die menschenfeindlich denken und reden mit jenen, die sich dafür politisch organisieren und jenen, die Gewalt ausüben. Damit muss niemand allein bleiben!

Angebote für Bildung und Beratung

Ausführliche Hinweise zum Umgang bietet die Broschüre „Bedroht zu werden gehört nicht zum Mandat“ des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) und des Bundesverbands Mobile Beratung e.V. (BMB) (Link).

Die Beratungsstellen für Opfer rassistischer, antisemitischer und rechter Gewalt weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie auch für Kommunalpolitiker*innen da sind. In jedem Bundesland gibt es solch eine Beratungsstelle (Link).

Sie bieten in den meisten Fällen auch eine Online-Beratung an (Link). Die Stellen beraten nach einem Angriff, aber auch bei Bedrohung. Ihr müsst nicht körperliche Gewalt abwarten, um euch Hilfe zu holen!

Die Mobilen Beratungsteams (MBT) beraten auf lokaler und regionaler Ebene Vereine, Parteien, Unternehmen und Verwaltung zum Umgang mit extremen Rechten. Sie können eine erste Ansprechpartnerin sein, um sich Unterstützer*innen zu suchen und eine Strategie vor Ort zu entwickeln (Link).

Kommunalpolitische Vereinigungen bieten eine Vielzahl von Workshops zu Argumentation und Selbstbehauptung an.

Die Heinrich-Böll-Stiftungen bieten Bildungsveranstaltungen und Argumentationstrainings sowie Workshops zu Selbstbehauptung und Resilienz an und können Kontakt zu Expert*innen und Beratungsstellen vermitteln. Einige unsere Angebote:

Die Fachstelle Bildungsallianzen gegen rechte Ideologien der Landesstiftungen erstellt Bildungsmaterial zum Thema Umgang mit der extremen Rechten (Link)

  • zusammentun – solidarisch gegen rechts (Ausstellung zum Ausleihen und Podcast)
  • „Zur Sache! Was die AfD wirklich will“ (Infoheft)
  • „Linksgrün-versifft“? Handreichung zum Umgang mit rechtspopulistischen Parteien und Wählerbündnissen auf kommunaler Ebene

Die Ausstellung "zusammentun – solidarisch gegen rechts" besteht aus violetten Bannern, die in Holzrahmen gespannt werden können. Das Titelbanner zeigt das Ausstellungslogo, auf weiteren Bannerne geht es um die Sinti Union und das Thema "Sich verbünden, nicht bevormunden"

zusammentun – solidarisch gegen rechts

eine Ausstellung darüber, wie wir uns der extremen Rechten stellen: gemeinsam und solidarisch – über Alltag und Highlights, Scheitern und Angriffe, Hoffnung und Verbündete

Die extreme Rechte ist zu stark, um sich ihr allein zu stellen. Deswegen zeigt diese Ausstellung keine Einzelkämpfer*innen und Superheld*innen, sondern politische Zusammenschlüsse und deren gemeinsames Tun.

Sie wollen die Ausstellung besuchen oder ausleihen und selbst zeigen? Hier finden Sie alle Informationen

Die Heinrich-Böll-Stiftung bietet Material und Veranstaltungen speziell für Kommunalpolitiker*innen:

  • Themenseite Kommunalpolitik (Link)
  • Vielfaltsstudie: Anfeindungen und Aggressionen gegen Kommunalpolitik (Link)
  • Dossier Rechtsextremismus (Link)
  • Seminarangebot von GreenCampus (Link)

Die Heinrich-Böll-Stiftungen in allen Bundesländern machen Veranstaltungen und sind ansprechbar (Link zu den Kontakten).

Campact: Bumerang-Fonds gegen politische Gewalt

"Täglich attackieren Rechtsextreme Demokrat*innen. Mit diesem Fonds verwandeln wir die rechtsextremen Gewalttaten in finanzielle Unterstützung für lokale politische Strukturen. So sorgen die Rechtsextremen selbst dafür, ihre Feinde zu finanzieren – die Attacke gegen Demokrat*innen wird zum Bumerang für die Angreifer. Du hast im Rahmen Deines Engagements für eine Partei rechtsextreme Gewalt erfahren? Mit diesem Fonds hat Deine lokale Parteistruktur die Möglichkeit, unbürokratisch Geld zu beantragen. Finanziert von Tausenden Spender*innen zeigen wir, dass wir uns nicht einschüchtern lassen." (Link)


[1] Löwenthal, Leo, und Norbert Guterman. „Lügenpropheten / Eine Studie über die Techniken und Themen des amerikanischen Agitators“. In Der autoritäre Charakter / Studien über Autorität und Vorurteil, herausgegeben von Institut für Sozialforschung Frankfurt am Main, 1:3–87. Amsterdam: de Munter, 1968, S. 39.

[2] Ebd., S. 24.

[3] Vgl. ebd. S. 25.


Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.boell.de