
Kinder alleine oder getrennt erziehen, arbeiten und ein politisches Ehrenamt gestalten: Wie geht das und wie könnte es besser gehen? Theda Dourado ist politisch engagiert, berufstätig – und alleinerziehende Mutter. Im Interview erzählt sie uns von ihren Erfahrungen in verschiedenen politischen Ämtern und ihrer Perspektive auf Vereinbarkeit von Beruf, Ehrenamt und Familie. Linda Lieber, Bildungsmanagerin der Heinrich Böll Stiftung NRW, spricht mit ihr darüber, welche Veränderungsbedarfe sie sieht und wie sie selbst diese Veränderungen anschiebt. Theda ist Psychologin und ist in der Schwangerschafts(konflikt)beratung sowie als systemische Beraterin tätig.

Das Interview führt: Linda Lieber, Bildungsmanagerin der Heinrich Böll Stiftung NRW.
Liebe Theda, was hast Du bisher als politisches Ehrenamt gemacht? Welche Ämter hast Du inne?
Theda: Angefangen habe ich während der Pandemie als Co-Stadtteilgruppensprecherin, bei den Grünen hier in Düsseldorf für meinen Stadtbezirk. Damals war mein Kind ca. 2 Jahre alt. Meine Beteiligung wurde möglich, da alle Treffen plötzlich online stattfanden. Natürlich ist es auch zuhause mit Kleinkind stressig, an Online-Veranstaltungen teilzunehmen, aber immer noch machbarer als außer Haus.
Mittlerweile bin ich Co-Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Frauenpolitik der Grünen NRW und NRW-Delegierte für den Bundesfrauenrat. Dazu habe noch kleinere Ämter wie Delegierte für den Landes- und Bundesparteitag und Mitglied einer Strukturkomission unseres Grünen Kreisverbandes. Außerdem beteilige ich mich an der Organisation eines FINTA*-Netzwerks für den Kreisverband, das zwei andere Frauen, Martha Schuldzinski und Yousra El Makrini, ins Leben gerufen haben.
Die Kinder zuhause zu lassen geht eben bis zu einem gewissen Alter für Alleinerziehende nicht. Und die politische Partizipation sollte nicht davon abhängen, ob man nette Großeltern in der Nähe hat.
Wie geht das mit Deinen Aufgaben als Mutter und Deinem Job zusammen? Welche Herausforderungen stellen sich Dir als Alleinerziehende in der Politik?
Theda: Erst einmal möchte ich betonen, dass ich „alleinerziehend“ weit definiere, und nicht zwischen getrennterziehend etc. unterscheide. "Alleinerziehend sein" ist eine individuelle Situation mit individuellen Voraussetzungen und Möglichkeiten. Kein alleinerziehender Mensch gleicht dem anderen. Manche haben nette Großeltern ganz in der Nähe oder ihre Kinder sind ab und zu oder auch oft beim anderen Elternteil. Andere wiederum pflegen ihr Kind mit Behinderung, haben vielleicht keinen Kitaplatz, oder sind Pflegeeltern mit viel Papierkram und haben dadurch wieder ganz andere zeitliche Barrieren.
Besonders schwierig finde ich persönlich, an Veranstaltungen und Gremien teilzunehmen. Mit dem Job kann es ganz gut passen, weil der Politikbetrieb am berufstätigen Alleinverdiener ausgelegt ist, also an klassischen Berufszeiten. Aber eben nicht an Kita- oder Schlafenszeiten von Kindern. Sitzungen von Ausschüssen im Rat beginnen meist genau, wenn die Kita schließt und gehen bis in die Abendstunden, anstatt dass Ratsmitglieder während der klassischen Arbeitszeit, und somit auch Kitazeit Politik machen können. Von der Erwerbsarbeit können sich Ratsmitglieder für Sitzungen freistellen lassen, das geht mit Kindern so natürlich nicht. In unserer Kreispartei war kürzlich eine wichtige Wahl abends. Da muss man dann gut abwägen, ob man das seinen Kindern antut, die dahin mitzunehmen, zumal es oft keine Kinderbetreuung gibt. Die Kinder zuhause zu lassen geht eben bis zu einem gewissen Alter für Alleinerziehende nicht. Und die politische Partizipation sollte nicht davon abhängen, ob man nette Großeltern in der Nähe hat. Bei uns Grünen steht glücklicherweise im Statut zur Gleichstellung, dass Kinderbetreuung bzw. Kinderprogramm bei politischen Veranstaltungen angeboten werden muss. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass das auch umgesetzt wird. Bei unserer letzten Jahreshauptversammlung hatten wir daher eine Kinderbetreuung, die auch gut angenommen wurde.
Jobtechnisch schwierig wird es besonders für Menschen, die in Schichtarbeit sind. Damit sind die Barrieren für einige Berufsgruppen viel höher. Alleinerziehende sind ja nicht die einzige Gruppe, die strukturell von Teilhabe ausgeschlossen wird.
Was hast Du als unterstützend empfunden für deine Ziele und was als hinderlich?
Theda: Was mich immer besonders beeindruckt, sind Menschen, die selbst gar keine Kinder haben und sich trotzdem bspw. Kinderbetreuung auf Veranstaltungen einsetzen, die uns immer mitdenken, dafür bin ich sehr dankbar. Damit macht man sich ja auch nicht unbedingt beliebt. Mir haben auch schon verschiedene Parteifreundinnen angeboten, auf mein Kind mit aufzupassen, wenn es keine Kinderbetreuung gibt. Das ist natürlich sehr erleichternd, wenn man dann nicht alleine dasteht, insbesondere, wenn man sich auf etwas konzentrieren muss, wie z.B. eine Bewerbungsrede oder einen eigenen Antrag. Alleinerziehende sollten ja nicht nur physisch anwesend sein können, sondern sich genauso auf Ämter etc. bewerben können wie andere. Gerade für neue Mitglieder, die noch nicht so gut vernetzt sind, sind informelle Hilfen natürlich keine Lösung, sie kommen dann einfach nicht zu den Veranstaltungen.
Was Teilhabe unterrepräsentierter Gruppen sehr behindert, ist an Strukturen festzuhalten, einfach, weil man es immer so gemacht hat oder weil es den Leuten passt, die eben da sind, um für ihre Bedarfe einzustehen. Man hat sehr oft einen starken Bias bei Entscheidungen, weil man z.B. bei einer Abendveranstaltung fragt, ob abends eine gute Zeit für Treffen ist. Es muss sich aktiv bemüht werden, auch andere einzubeziehen, diejenigen mitzudenken, die gerade nicht da sind, und sich fragen, warum sie nicht da sind und was es für Barrieren geben könnte.
Da Alleinerziehende ein vielfach erhöhtes Armutsrisiko haben, müssen auch immer finanzielle Barrieren mitgedacht werden. So ist es bspw. für einige schwierig, Fahrt- und Hotelkosten vorzustrecken, wenn sie ehrenamtlich für die Partei unterwegs sind. Wenn es dann auch noch Probleme mit der Abrechnung gibt, überlegen sich finanziell benachteiligte Menschen zweimal, ob sie das Risiko nochmal eingehen können. In unserem Kreisverband wird das berücksichtigt und jetzt gehen die Hotelrechnungen direkt an die Geschäftsstelle, das finde ich ein sehr gutes Zeichen. So können sich auch bspw. Bürgergeld-Empfänger*innen für Delegationen bewerben.
Welche sind Deine politischen Forderungen und wie kommst Du mit diesen Forderungen voran?
Theda: Ein-Eltern-Familien müssen in allen Bereichen unseres politischen Handelns mitgedacht werden, um strukturelle Benachteiligung einzudämmen. Sie leisten enorm viel und sind dennoch besonders von Armut betroffen.
So ist beispielsweise ein Großteil unserer Sozialwohnungen nicht für Ein-Eltern-Familien geeignet. Die aktuelle Wohnungskrise trifft Alleinerziehende, deren Armutsrisiko bei 41% liegt, jedoch besonders hart. Beim Zuschnitt neuer Bauvorhaben, insbesondere von Sozialwohnungen, müssen die Anforderungen von Ein-Eltern-Familien, also ein Schlafzimmer für jede Person, berücksichtigt werden. Solange geeignete Wohnungen nicht ausreichend vorhanden sind, müssen für Alleinerziehende bei Transferleistungen und Sozialwohnungen die gleichen Grenzen für Wohnfläche und Miete wie für Paar-Eltern gelten. Auch bezahlbare gemeinschaftliche Wohnprojekte für Alleinerziehende sollten besonders gefördert werden. In meinem Beruf habe ich leider schon mehrfach erlebt, dass Mütter oder Schwangere wohnungslos bleiben, nachdem sie sich von ihrem gewalttätigen Partner getrennt haben, weil sie nicht mit den Topverdiener*innen in Düsseldorf mithalten können.
Es ist ein Skandal, dass Alleinerziehende höher besteuert werden als Eheleute. Auch das Unterhaltsvorschussgesetz muss dringend reformiert werden, dazu gibt es eine wichtige Petition von Delia Keller: https://innn.it/Kindergeld. Außerdem darf Umgang mit dem anderen Elternteil nicht zu finanziellen Nachteilen führen, sondern im Gegenteil sollten die finanziellen Mehrbelastungen hier bei Steuer und Bürgergeld besonders berücksichtigt werden.
Vor kurzem gab es eine mediale Diskussion um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Für Eltern ist es leider ganz normal, dass sie an Kinderkranktagen keinen Lohn bekommen, und nur einen Teil bei der Krankenkasse als Krankengeld beantragen können. Dies trifft Alleinerziehende besonders. Damit Eltern die Gesundheit ihres Kindes und anderer schützen können, müssen diese auch bei Krankheit der Kinder, analog zu eigener Krankheit, volle Lohnfortzahlung bekommen.
Aber es ist eben leider so, dass man vieles erst so richtig spürt, wenn man es selbst erlebt. Gerade deswegen ist es ja so wichtig, dass alle Perspektiven mit am Tisch sitzen.
Wolltest Du Politik für Alleinerziehende machen, als Du angefangen hast oder hat sich das erst aus der Notwendigkeit der Mehrfachbelastung ergeben?
Theda: Teilhabe und Abbau von Diskriminierung waren mir von Anfang an wichtig. Außerdem sind meine Themen insbesondere Frauenpolitik und intersektionaler Feminismus. Es ist kein Zufall, dass der größte Teil der Alleinerziehenden Frauen sind, und dass alleinerziehende Frauen stärker von Armut betroffen sind als alleinerziehende Männer.
Es gibt ja viele Gruppen, die nicht ausreichend repräsentiert sind in den Parteien und Parlamenten. Aber es ist eben leider so, dass man vieles erst so richtig spürt, wenn man es selbst erlebt. Gerade deswegen ist es ja so wichtig, dass alle Perspektiven mit am Tisch sitzen. Denn sonst entstehen eben Barrieren und Gesetze, bei denen die Bedarfe von bspw. Alleinerziehenden einfach fehlen. Ich erlebe von Menschen oft viel Offenheit zu Themen, über die sie sich aber noch nie Gedanken gemacht haben, weil sie die Situation eben so nicht kennen. Genauso wie der Schwangerschaftsabbruch nicht legalisiert wird, wenn Menschen entscheiden, die sich gar nicht mit der Möglichkeit beschäftigen müssen, schwanger werden zu können.
In unserer Partei sind wir uns einig, dass Vielfalt und diverse Perspektiven gewinnbringend für unsere Politik sind. Eine Gruppe, die bei Veranstaltungen, Ämtern und Mandaten unterrepräsentiert ist, sind Alleinerziehende*. Gleichzeitig ist dies eine Gruppe, die strukturell benachteiligt ist, bspw. ein vielfach erhöhtes Armutsrisiko hat. Zuletzt haben Gesetze in der Corona-Pandemie gezeigt, was es für Auswirkungen haben kann, wenn bestimmte Perspektiven bei Entscheidungsträger*innen fehlen.
So kann auch ich nicht ausreichend beurteilen, was andere Alleinerziehende brauchen, die bspw. ein Kind mit Behinderung pflegen oder andere Vielfaltsmerkmale mitbringen. Sie müssen selbst teilnehmen können.
Was treibt Dich an, trotz aller Herausforderungen engagiert zu bleiben?
Theda: In der aktuellen politischen Lage ist es tatsächlich schwierig, motiviert zu bleiben. Aber wir können die Politik nicht den Falschen überlassen, und deswegen ist es so wichtig, dass alle, die sich gegen Ausgrenzung, Rechtsextremismus und Ungerechtigkeit allgemein stellen und gestalten wollen, auch die Möglichkeit dazu haben – egal ob sie alleinerziehend sind oder sonstige Barrieren für Teilhabe im Weg stehen.
Unabhängig davon gibt es einfach so viele Gesetze, die Alleinerziehende diskriminieren, ein bekanntes Beispiel ist das Ehegattensplitting. Und wenn man Menschen erzählt, dass beim Unterhaltsvorschuss das Kindergeld abgezogen wird, das eigentlich allen Kindern zusteht, schaut man meist in ungläubige Gesichter. Auch kindeswohlschädliche Strukturen in der Justiz, die teilweise mit dem Stigma von alleinerziehenden Frauen, aber auch mit Gleichgültigkeit zusammenhängen, würden viel schneller geändert, wenn es mehr Repräsentation bei Entscheidungsträger*innen gäbe. Aber es geht ja bei der politischen Teilhabe nicht nur um Gesetze, die das Thema Alleinerziehende besonders betreffen. Alleinerziehende müssen sich überall einmischen können, sei es bei Wohnungs-, Finanz- oder Energiepolitik. Glücklicherweise bekomme ich neben Dämpfern und Windmühlen auch viele bestärkende Rückmeldungen. Ich baue gerade für den Landesverband zusammen mit Alexandra Schoo aus dem Landesvorstand ein innerparteiliches Alleinerziehendennetzwerk für mehr Vernetzung und Teilhabe/Repräsentation auf. Ich bekomme zu diesem Plan sehr positive Rückmeldungen. Auch die Heinrich Böll Stiftung NRW hat mir da den Rücken gestärkt. Immer wieder höre ich: „Da ist jemand in meinem Kreisverband/Ortsverband, für die das ganz wichtig wäre“. Das ist auf jeden Fall Antrieb genug!
Was möchtest Du anderen Alleinerziehenden mit auf den Weg geben?
Theda: Es gibt tolle Verbände und Initiativen für Alleinerziehende, wie der VAMV, Solomütter oder die Stiftung Altagsheld:innen, die ich sehr wichtig finde. Ich möchte gleichzeitig dazu motivieren, sich auch parteipolitisch zu engagieren, denn wir müssen auch Wahlprogramme schreiben und in die Parlamente! Wir brauchen innerparteiliche "Lobbyist*innen" und Entscheidungsträger*innen, die wissen, wovon sie sprechen. Außerdem möchte ich dazu motivieren, Barrieren anzusprechen. Denn oft glaubt oft man, man ist allein damit. Doch selbst wenn man in diesem Moment die einzige ist - das soll ja nicht so bleiben! Werden die Barrieren für Alleinerziehende abgebaut, so nützt das ja auch vielen anderen, insbesondere anderen Eltern, aber auch Menschen, die ältere Angehörige pflegen.
Care-Arbeit sollte mehr wertgeschätzt werden, anstatt dass nur auf die Erwerbsarbeit Rücksicht genommen wird. Die „wer nicht da ist, ist selbst Schuld“-Mentalität sollte ein Ende haben.
Was erhoffst Du dir für die Zukunft von politischen Entscheidungsträger*innen, von Mitpolitiker*innen und den politischen Institutionen (Parteien, Räte, Parlamente)?
Theda: Ich wünsche mir, dass Kinder in der Gesellschaft und Politik willkommen sind, man sie also mit zu Sitzungen/Ausschüssen nehmen kann und alle sich darüber freuen. Dass Kinderbetreuung vom jeweiligen Gremium organisiert wird, die so toll ist, dass Kinder beim nächsten Mal unbedingt wieder zu diesem Gremium wollen. Denn wenn die Kinder willkommen sind, fühlen sich auch ihre Eltern willkommen.
Ich erhoffe mir, dass Entscheidungsträger*innen inklusiv denken und auch mal Platz machen für andere Perspektiven. Ich wünsche mir, dass sie nicht nur ÜBER Alleinerziehende sprechen, sondern begreifen, dass diese mit am Tisch sitzen müssen. Das gilt natürlich nicht nur für Alleinerziehende.
Der Politikbetrieb sollte eben nicht mehr nur am erwerbstätigen Mann ausgerichtet werden, der wenig Care-Arbeit leistet. Care-Arbeit sollte mehr wertgeschätzt werden, anstatt dass nur auf die Erwerbsarbeit Rücksicht genommen wird. Die „wer nicht da ist, ist selbst Schuld“-Mentalität sollte ein Ende haben. Stattdessen wünsche ich mir Offenheit für neue Lösungen.
Besonders wünsche ich mir auch eine neue Zeitpolitik, die zulässt, dass Care-Arbeit, Erwerbsarbeit, Freizeit und politische Teilhabe gleichermaßen wertschätzt und möglich macht, ohne Menschen auszubrennen.
Liebe Theda, vielen Dank für das Gespräch und Dein Engagement!