Die Stadt Mülheim an der Ruhr verbesserte sich im Ranking vom letzten Platz 2017 auf den 38. Platz. Die zweite Bürgermeisterin beschreibt ihre Erfahrungen als junge Frau in der Politik und wie es in Mülheim zu einem Kulturwandel von einer destruktiven Atmosphäre zu Teamspirit kam.
Dass Mülheim an der Ruhr, also die Stadt, wo ich mich für Bündnis 90/Die Grünen seit 2020 als zweite Bürgermeisterin engagieren darf, im Ranking auf Platz 38 geklettert ist, hat meiner Meinung nach explizit mit der paritätischen Aufstellung unserer Grünen Fraktion zu tun. Dadurch, dass wir unsere Kandidat*innenliste für die Kommunalwahl 2020 abwechselnd durch offene und geschlossene Plätze aufgestellt haben, sind nun sieben Frauen und sechs Männer bei uns in der Fraktion (Bei Bündnis90/Die Grünen werden Listenplätze nach dem Reißverschlussprinzip vergeben: Die geschlossenen Plätze sind für Frauen und diverse Geschlechter, auf den offenen können alle Personen kandidieren (i.d.Regel werden hier Männer gewählt)). Durch unseren Zugewinn bei der Wahl 2020 hat sich die Fraktionsgröße und damit auch der Frauenanteil mehr als verdoppelt, wohingegen Frauen in den anderen Fraktionen im Vergleich zur letzten Wahlperiode weiterhin eine Minderheit sind. Auch unsere neue Dezernentin für Soziales, Gesundheit und Kultur Dr. Daniela Grobe – die einzige Frau unter den Dezernent*innen – wurde von uns Grünen gesetzt. Außerdem haben wir, nachdem unser grandioses Wahlergebnis bekannt wurde und damit auch, dass wir dadurch den Zugriff auf das zweite Bürgermeister*innenamt haben würden, von Anfang an gesagt, dass wir hier eine Frau im Amt haben wollen. Wir wussten nämlich, dass Oberbürgermeister und erster Bürgermeister sehr wahrscheinlich von Männern gestellt werden würden.
Das hat sich gelohnt. Wir kriegen von der Verwaltung gespiegelt, dass wir der „fitteste“ Rat seit langem wären. Wir sind nicht nur weiblicher, sondern auch jünger geworden, was sich wohl in neuer Energie, kreativen Ideen, engagierten Anträgen und aufgeweckten kritischen Rückfragen niederschlägt. Man merkt auch, dass sich die verstärkte Repräsentation von Frauen in unterschiedlichen Ämtern und Positionen positiv auf das Klima im Rat und zwischen Rat und Verwaltung auswirkt. Meinem Gefühl nach, ist die Stimmung solidarischer, sozialer. Es ist wirklich ein Teamspirit spürbar, da großer Wert auf ein gutes Miteinander und Austausch gelegt wird.
Selbstbewusstsein gegen „Mansplaining“
Im Stadtrat kann theoretisch jede*r etwas beitragen. Die Gesprächskultur ist offen und lebendig. Dass ich mich persönlich nicht öfter zu Wort melde, hat mehrere Gründe: Zum einen spielt der Respekt davor, das Wort zu ergreifen, noch immer eine Rolle; zum anderen ist meist das Wesentliche schon gesagt worden. Bei manchen Redebeiträgen hat man einfach das Gefühl, jetzt steht das Bedürfnis im Vordergrund, sich durch einen eigenen Redebeitrag noch einmal hervorzutun anstatt etwas Neues beizutragen. Nicht unbedingt in unserem Rat, hier kann trotz Stammtisch-Phrasen, Konter-Kommentaren, schnellem Schlagabtausch und humoristischen Zwischenrufen dennoch jeder und jede ausreden. Aber in anderen Situationen erlebe ich öfter Mansplaining, ins Wort fallen, Tuscheln, während man selbst noch spricht. Das vermittelt einem schon, der eigene Redebeitrag sei nicht so relevant wie der eines Kollegen.
Natürlich brauchen Politikerinnen den grundsätzlichen Willen, etwas zu bewegen, sich zu engagieren und den Mut, sich in unbekannte Gewässer zu wagen. Das wäre aber nicht möglich ohne die Menschen im Umfeld, die uns nicht nur gegenüber anderen unterstützen, sondern auch uns selbst bestärken etwas „einfach mal zu machen“. Es braucht gesunde, unterstützende, aufmerksame und empowernde Strukturen in der eigenen Partei und Menschen, die sie umsetzen. So ein Support-Netzwerk kann man auch strukturell aufziehen, zum Beispiel durch ein Tandem-Modell, das wir bei uns im Kreisverband nutzen. Es bringt interessierte potenzielle Mitglieder mit erfahrenen Ratsmitgliedern zusammen und ermöglicht so direkt Einblick in die Arbeit und die Gesprächs- sowie Arbeitskultur. Um mehr Frauen in politische Ämter zu bekommen, braucht es aber auch ein direktes Ansprechen potenzieller Kandidatinnen für ein Amt oder Mandat. Meist übernehmen sie es und füllen es dann auch super aus.
Wir müssen aber hierarchische Strukturen und die Ellenbogenmentalität innerhalb der Parteien überwinden: dieses männlich dominierte Umfeld alteingesessener Politiker, die Aspirant*innen wenig Raum lassen oder Engagement unattraktiv machen, Frauen das Gefühl geben, es nicht zu können. Wir erleben oft eine patriarchale Gesprächskultur. Es braucht deswegen Selbstbewusstsein, sich vor einer Gruppe zu melden und zu sprechen. Vielleicht ist es auch die unbegründete, aber gelernte Angst vor eigenen mangelnden Kenntnissen. Ich denke, Zweifel an der eigenen Expertise spielen eine große Rolle.
Ich hatte bisher immer das Glück, Menschen und vor allem Frauen im beruflichen und ehrenamtlichen Umfeld zu haben, die mich auf unterschiedliche Weise fördern: indem sie mich auf Angebote und Ausschreibungen hinweisen, meinen Namen ins Spiel bringen, mich vorstellen, für Fragen und andere Anliegen zur Verfügung stehen, Tipps und Ratschläge geben oder mich zu Veranstaltungen mitnehmen.
Was ich mir für die Zukunft als Verbesserung wünsche, ist natürlich die Vereinbarkeit von Mandat und Familie. In unserer Fraktion sind zwei erwerbstätige Mütter mit Kindern, die noch sehr klein sind. Die Vereinbarkeit ist sicher eine große Herausforderung für sie. Die digitalen Fraktionssitzungen ermöglichen zumindest etwas mehr Flexibilität. Dass die Kamera aus ist, mal ein Kind dazwischen plappert oder dass in Ausnahmefällen auch ein Knirps bei einer Ausschusssitzung sitzt, gehört nun mal dazu. Nur viel Solidarität, Verständnis und die Möglichkeit, sich auch mal zurückzuziehen, wenn alles nicht mehr unter einen Hut zu bekommen ist, ermöglicht, dass junge Mütter Politik machen können.
„Die Augen werden groß, wenn ich qua Amt am Kopf des Tisches sitze“
An der Repräsentation von (jungen) Frauen in unterschiedlichen Ämtern muss konstant weiter gearbeitet werden, um das starre Bild des älteren weißen Mannes mit Autorität, der ein wichtiges Amt bekleidet und dem man Respekt zollt, auf der einen Seite und dem Bild der jungen Frau auf der anderen Seite, die man nicht sonderlich beachten muss, weil man sie als irrelevant erachtet und sie vermutlich eh nur in der Rolle der Praktikantin zugegen ist, aufzulösen. Ich selbst habe des Öfteren die Erfahrung gemacht, dass sich das Auftreten mir gegenüber ändert, wenn sich herausstellt, dass ich die zweite Bürgermeisterin oder Stadtverordnete bin. Zuerst werde ich nicht begrüßt, dann werden die Augen aber groß, wenn ich qua Amt am Kopf des Tisches sitze, und die Anwesenden in meiner Funktion begrüße. Manche Menschen können es auch einfach nicht fassen, dass ich mit meinen 30 Jahren tatsächlich zweite Bürgermeisterin der Stadt bin und fragen dann besser noch einmal nach.
Deswegen bin ich besonders meinen Mitstreiter*innen dankbar, wenn sie mich auch als Bürgermeisterin bei anderen vorstellen. Dann sieht man in den Gesichtern sofort, dass sich im Kopf etwas tut. Man hört quasi die gedanklichen Sprünge, die dieser Mensch in diesem Moment macht, da werden Ansichten und Weltbilder neu arrangiert. Das muss weiterhin geschehen, damit auch zukünftigen (jungen) Frauen die Kompetenzen und Qualifikationen zugesprochen werden, die sie mitbringen! Ein Rat sollte die Bürger*innen seiner Stadt vertreten und repräsentieren. Hier ist auf jeglichen Ebenen noch einiges zu tun, damit diversere Stimmen Gehör finden!
Bearbeitet von Laura Ewert.
Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.boell.de