Heinrich XIV: Laudatio Carmen Priego

Laudatio

Die Laudatio der Schauspielerin Carmen Priego greift alle Aspekte auf, die den Garten-Kultur-Verein(t) Sieker e.V preiswürdig machen.

Lesedauer: 6 Minuten

Liebe Gärtnerinnen und Gärtner, liebe vereinte Vereinsmitglieder. Liebe Freundinnen und Freunde der Sieker Gärten, liebe Heinrich Böll Stiftung NRW. Liebe Menschen.
Hochgeschätzte Bienen, Sonnenblumen, Himbeersträucher, liebe Meisen, und auch die kleinen Widersacher die Schnecken heiße ich herzlich willkommen. Mein Name ist Carmen Priego, ich bin Schauspielerin am Theater Bielefeld. Vor der Anfrage der Heinrich Böll Stiftung hatte ich noch nie von den Sieker Gärten gehört, ehrlich gesagt hatte ich auch noch nie was von INTERKULTURELLEN GÄRTEN gehört.
Theaterarbeit nimmt sehr viel Zeit in Anspruch und führt dazu, dass viele Aspekte des Lebens nicht wahrgenommen werden, weil wir Theaterleute zu beschäftigt sind. Das ist nicht gut, denn Theater soll ja etwas über das Leben erzählen. Im Moment spiele ich die ORESTIE von Aischylos. Es ist das älteste erhaltene Theaterstück der Menschheit, 2500 Jahre alt und handelt grob gesagt von der Knochenmühle des Leidens, das durch die Blutrache entsteht und von dem Versuch dieses Leiden zu mildern durch Einführung eines menschlichen
Gerichts, das Ausgleich und Gerechtigkeit herstellen soll. Oftmals wird die Orestie auch als GEBURT DER DEMOKRATIE bezeichnet.
Und dann lebt in mir die Frage: WORAUF KOMMT ES WIRKLICH AN? Eine Antwort für mich:
Auf eine grundsätzliche Freundlichkeit und ein grundsätzliches Wohlwollen allem was auf der Erde lebt gegenüber. Dafür ist es notwendig die eigene Person, die eigenen Überzeugungen und Meinungen nicht so wichtig zu nehmen und fremde Geschichten hören zu wollen.
Es bedeutet, um Voltaire frei zu zitieren, dass wir uns wechselseitig dulden müssen, anerkennen müssen, weil wir alle schwach, inkonsequent, der Veränderung und dem Irrtum unterworfen sind. Es bedeutet, dass man versucht die Gefühle des Menschen, der mir
gegenüber steht zu verstehen. Das geht nicht immer, aber man kann es versuchen. Manchmal muss man Dinge unverstanden stehen lassen, wie einen Berg, den man nicht besteigen kann. Das könnte man auch Toleranz nennen.
In ihrem Garten-Kultur-Verein(t) treffen sich Menschen aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern, mit unterschiedlichen Religionen
und Sprachen und sie versuchen genau das. Das ist mutig. Das stelle ich mir anstrengend und schön vor und es verdient großen Respekt sich dieser Herausforderung zu stellen. Wer sich mit deutscher Vereinskultur auskennt, weiß, dass es hierfür Geduld und viele  Vereinssitzungen, Abstimmungen, Mehrheiten schaffen ohne Minderheiten zu unterdrücken, Gespräche, Geld verwalten, Streitkultur und Nerven braucht. So verhält es sich auch mit der Demokratie. Seit 2015 arbeiten Sie, die Vereinsmitglieder, auf ihren Gartenparzellen zusammen. Das zarte Grün der Teilhabe gedeiht und die Wertschätzung von gelebter Demokratie nimmt zu. Die Idee zu den neuen Gärten für Sieker ist im Rahmen der Umsetzung des Integrierten Stadtteilentwicklungsprojektes Bielefeld 2010 entstanden. Sie als  Bewohner*innen der Großsiedlung hatten dann selber die Idee, im Rahmen des neuen „Sieker Parks“ auf den ehemaligen Brachflächen zu gärtnern und sie haben sie auch realisiert. Den neu entstehenden Park als „eigene“ nachbarschaftlich und gemeinschaftlich zu nutzende Fläche zu erschließen und zu verankern war der Ausgangspunkt der Bewohner*innen. Die Initiative ging auch von einigen Frauen aus den örtlichen Kindergärten und einem örtlichen Stadtteiltreff aus. Das Interesse war sofort riesengroß. Per Losverfahren wurden die  Gartenparzellen unter 90 Interessent*innen vergeben. Sie ziehen heute mit 40 Familien generationsübergreifend auf 40 Parzellen Gemüse …und das mindestens fünfsprachig! Sie haben das Lebensgefühl verbessert. Sie haben das Wohnumfeld durch diese Zusammenarbeit und Grünfläche stark verbessert, die Nachbarschaft ist mehr zusammengewachsen. Die teilweise Eigenversorgung mit Obst und Gemüse ermöglicht Freude und Beheimatung im eigenen Quartier. Sie stärken die Nachhaltigkeit. Sie tragen bei zu einer regenerativen Stadt mit einer neuen Nähe zur Natur. Sie schützen Insekten. Die Masse der Insekten ist um 75% zurückgegangen. Ihre Gärten leisten auch einen Beitrag gegen das Insektensterben. Sie schaffen Schönheit. Die Sieker Gärten haben einen beachtlichen Verschönerungseffekt, verbessern das Mikroklima und laden zum Verweilen ein. Städtisches Gärtnern ist cool und für jüngere Leute oftmals ein erster Einstieg in politisches Engagement.
Wie ich gehört habe, bekam die Jury der Heinrich Böll Stiftung dieses Jahr besonders viele Vorschläge und war immer wieder überrascht welche tollen Ideen und Projekte in der Mitte oder gerade dem Rand der Gesellschaft entstehen, um konkrete Probleme und  erausforderungen anzugehen. Gründe für den Garten-Kultur-Verein(t) Sieker e.V. hat die Jury, wie Sie oben gehört haben viele gefunden.
Dafür werden Sie heute geehrt! Ich habe einen immer wiederkehrenden Traum. In diesem Traum wachsen in meinem Garten riesige Kürbisse, ich drücke den Kürbissamen in die dicke,schwarze Erde und schon nach kürzester Zeit zeigt sich erstes Grün, es wächst, es bekommt Blüten, die verdicken sich, die Fruchtknoten schwellen immer weiter an und es wachsen mächtige Kürbisse. Diese Träume sind von einem intensiven Glück erfüllt, einer vollkommenen Sinnhaftigkeit und dem Gefühl von großer Sicherheit ICH WERDE NIE WIEDER HUNGER HABEN. Umso größer ist für mich heute die Freude und Ehre den Garten-Kultur-Verein(t) Sieker e.V als Gewinner des Heinrichs für 2017 und 2018 zu würdigen. „Der Heinrich“ ist der Preis der Heinrich Böll Stiftung Nordrhein-Westfalen für innovative Projekte um für „beachtlich Geleistetes“ Aufmerksamkeit zu schaffen. Das Heinrich „Preis-Objekt“ ist übrigens immer eine echte Gießkanne in ein
Kunstwerk gefügt. Aber dieses Jahr gerade für einen Garten-Kulturverein vielleicht besonders passend. In einer Geschichte Heinrich Bölls verfolgt ein Mann, dessen Ehe entfremdet und lieblos geworden ist, eine unbekannte Frau durch die Stadt, er fühlt sich ganz tief zu dieser unbekannten Frau hingezogen. Die Frau nähert sich immer mehr dem Wohnviertel des Erzählers bis sie schließlich vor seiner eigenen
Haustüre stehen bleibt und erst in diesem Augenblick begreift der Erzähler, dass er seiner Ehefrau durch die Stadt gefolgt ist. Vielleicht geht es uns Menschen so mit unserer Erde. Wir haben den Bezug zu unserem Grundmaterial verloren und benutzen unsere Umwelt wie eine Ware, die sich jederzeit wieder herstellen oder neu kaufen lässt, aber Erde Wasser Luft sind begrenzt und müssen liebend behandelt werden. Vielleicht brauchen wir eine liebevolles Wiedererkennen unserer Lebensgrundlage. Und Gärten sind vielleicht ein erster Schritt.
Während des Schreibens dieser Laudatio ging mir immer wieder ein chinesisches Sprichwort durch den Kopf:


„Willst du einen Tag glücklich sein-betrinke dich.
Willst du ein jahr glücklich sein- verliebe dich.
Willst du ein Leben lang glücklich sein- werde Gärtner.“