Laudatio zu Ehren des Kunstvereins ArToll e.V.

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Orte der Kunst, sind immer besondere Orte. Nicht nur, wenn Sie in solch außergewöhnlicher Lage ihren Platz gefunden haben, wie hier in Bedburg-Hau. Denn einen Ort zu besetzen mit einer kreativen Geste – das ist stets eine Herausforderung Und zwar sowohl für diejenigen, die diese Kreativität entfalten, wie für diejenigen die mit dieser Kreativität konfrontiert werden.

Der Versuch, Kunst zu leben und Kunst zu behaupten – und das heißt nichts anderes, als die Freiheit zu wagen, zu anderen Horizonten aufzubrechen – ist in besonderem Maße ein Akt des Mutes, wenn es in einem Spannungsfeld geschieht, das selbst von Unfreiheit und Begrenzung geprägt ist. Kunst zu leben im Spannungsfeld zwischen Psychiatrie und Gefängnis, heisst, sich Kontexten auszusetzen, die ganz andere sind, als die Kontexte des arrivierten Kunstbetriebs.

Museale Orte präsentieren und reflektieren Entstehungs- und Entwicklungsprozesse, die sich am Kanon eines jahrhundertelang tradierten Kunst-und Kulturverständnisses orientieren. Die Räume der Bedeutung, die sich dabei auftun, sind besetzt mit Mythen, Medien und Methoden. Museale Kunst kommentiert oft sich selbst.

Freie Orte der Kunst aber, und als solche verstehe ich ein Kunstlabor, - freie Orte der Kunst orientieren sich an den Brüchen und Verwerfungen der Lebenswelt. Die Freiheit des Einzelnen, eigene Formen des Ausdrucks und der Gestaltung nachzugehen, sie zu erproben und in den Raum zu stellen, folgt dort nicht zwangsläufig tradierten Mustern beziehungsweise den allgemeinen Regelsetzungen eines künstlerischen und wissenschaftlichen Experiments.  Sondern experimentieren und forschen an einem Ort der Freiheit,  heißt, sich ganz bewusst im Rahmen der Grenzen und Möglichkeiten jedes Einzelnen zu bewegen. Nichts anderes ist hier die Norm.

ArToll heisst das Kunstlabor, das ich die Ehre habe, hier heute zu würdigen.  ArToll – ein Name, der ein vielschichtiges Assoziationsgeflecht anstösst.

  • Zum einen und zum allerersten geht es hier um ART – um Kunst.
  • Dass die Ergebnisse dieser Arbeit an der Kunst toll sein können , in dem Sinne, dass die Ergebnisse beeindrucken, provozieren , überzeugen – davon spricht die sehr schöne Ausstellung, die hier heute zu sehen ist.
  • Tollheit kann aber auch meinen: Dimensionen jenseits des Verstandes, emotionale und psychische Zustände jenseits der Berechenbarkeit, ein Übermaß an Präsenz, dass bis zur Gefährdung seiner selbst und des anderen führen kann. 
  • Wenn wir dann noch die Assoziation des Atolls hinzunehmen, die davon spricht, dass wir es hier mit einer ringförmigen Einheit zu tun haben – so wie ein Korallenriff, das eine Lagune umschließt -  dann wird hier deutlich, dass mit diesem Projekt eine ganz besondere Vision verbunden ist.

Es ist die Vision, einen Ort der Ruhe zu schaffen, in der der Mensch eins werden kann mit sich selbst – im Akt des schöpferischen Tuns. Das Bild des Atolls ist um so glücklicher gewählt, als Atolle bewegliche Einheiten sind, die sich durchlässig halten für den Wasser- und Sauerstoff-Austausch zwischen Lagune und Meer. So ist gewährleistet, dass der Prozess der Selbstfindung nicht mit dem Preis der Isolation zu bezahlen ist, sondern das was im Atoll geschieht von den Strömungen des Lebens getragen wird.

Besonders überzeugend an der Konzeption des Kunstlabors ist, dass es jedem Nutzer / jeder Nutzerin eine Situation der vollkommenen Offenheit bietet. Die Künstler, die dieses Haus betreten, um in ihm schöpferisch tätig zu sein, finden es – bis auf die Wohnräume – leer vor. Eine solche Leere nicht als Abwesenheit von etwas oder als Abgrund zu begreifen, sondern als einen Ort der Unendlichkeit, den Beginn alles Möglichen – darin bestand und besteht bis heute die große Kraft kreativer Menschen.

Wie unterschiedlich auf diese Situation reagiert werden kann, zeigt das aktuelle Kunstprojekt Licht-Spiel-Orte.

Licht ist ein grenzenloses Medium. Es besitzt ein schier unerschöpfliches Wirkungsspektrum.  Von der Kraft, sich bis auf hellste kleine Punkte konzentrieren  bis hin zur absoluten Entgrenzung des Raumes, schafft das Licht vielfältigste Möglichkeiten der Wirklichkeitswahrnehmung. Auch medial gehört es zu den facettenreichsten Gestaltungsformen der Gegenwartskunst. Von der ephemeren Leuchtkraft einer Videoprojektion, über die Ilumination von Oberflächen bis hin zur die Inszenierung öffentlicher Räume oder der zeichenhaften Setzung eines Licht-Objektes umfasst es unendlich viele Möglichkeiten Räume zu öffnen, zu schliessen und zu modellieren. Licht besitzt die Macht und die Kraft, reale Räume in virtuelle Räume der Empfindung und Phantasie zu verwandeln – mit einem Wort Atmosphären zu schaffen, in denen uns völlig neue Dimensionen der Wirklichkeitswahrnehmung zu fliessen.

Dabei liegen die  besonderen Qualitäten dieses Mediums darin, dass es sich selbst und seine eigene Erscheinungsweise immer selbst mitreflektiert. Indem wir beginnen, durch die Lichtkunst das Licht als es selbst wahrzunehmen, beginnen wir uns bewusst zu werden, wie wir Licht wahrnehmen. In diesem Sinne ist Lichtkunst wahrhaftig eine selbstreflektierendes Medium.

Ich denke, daher rührt auch unser aller Faszination für dieses Medium. Wir selbst können uns ein Leben ohne Licht gar nicht vorstellen. Ganz abgesehen davon, dass auch aus biologisch-organischer Sicht das Licht der Ursprung allen Wachstums ist. Sind wir schon längst in anderer Art von ihm abhängig geworden. Aus unseren privaten wie öffentlichen Räumen ist das Licht nicht mehr wegzudenken. Wir gestalten und inszenieren unsere Lebensräume mit Licht und durch Licht in einer Weise, die deutlich macht, dass Licht immer mehr ist als nur eine Helligkeitsquelle. Es wird verstanden als Lebenshülle, die für vieles steht: für Selbstbewusstsein, Wärme, Transparenz und Transzendenz.

Es hat mich daher nicht überrascht zu hören, dass Licht-Spiel-Orte bereits das dritte Lichtkunstprojekt des Kunstlabors ist. Als ein Kunstort, der mitten im Leben steht, erfasst ArToll das Licht als eine Strömung, die unsere Gegenwartskultur prägt und nachhaltig verwandelt.

Solche Projekte sind Leuchttürme. Sie ermutigen zu einem selbstbestimmten Umgang mit sich selbst, der Kunst und der Gegenwart und schafft so neue Formen der Präsenz.

Es ist diese unmittelbare Gegenwart, die auch Joseph Beuys durch sein Werk gelebt hat. Von seiner Haltung, an die kreative Kraft jedes Menschen zu glauben und an sie zu appellieren – seine Vision, ebendiese Kreativität zum Eckpfeiler eines humanen Miteinander werden zu lassen – diese Vision lebt auch ArToll.

Und ArToll setzt dafür immer wieder neue Zeichen. Wie im Fall der Licht-Spiel-Orte – Inszenierungen, in denen die Geschichte, die Räume und die Menschen der Region sich in der universellen Sprache des Lichts zu neuen Sichtweisen gelangen.

Zu dieser außerordentlichen Leistung gratuliere ich Ihnen sehr herzlich und wünsche Ihnen alles Gute!