Ein Tag in Hagen

Zur Urteilsverkündung kommen vier kräftig gebaute Herren, mit hellgrünen Hemden und Handschuhen hinzu. Also steht fest, wohin die Reise geht. Acht Jahre wird verkündet. Mit ner
Kelle hab ich gerechnet, aber‘n 8er? Mein Anwalt steht mindestens genauso neben seinen Schuhen wie ich. Hab keine Zeit der Urteilsbegründung zu folgen. Muss meinem Rechtsbeistand einige wichtige Anweisungen mit auf den Weg geben. Dann geht es los. Durch eine Seitentür, aus dem Gerichtssaal in die Katakomben. Ein Schritt hinter die Tür, eine völlig andere Welt. Vorne alles auf Schniecke getüncht, hier stehen die Zeichen auf Absturz. Abgewetzte Stufen, über die schon viele abgeführt wurden. Die Farbe, oben noch
schön, blättert hier von den Wänden. Unten angekommen: Durchsuchung. Wohl das letzte Mal für lange Zeit, dass mir jemand an die Eier fasst. Ich quengel mir noch’n Spruch raus: „Hey Kamerad, normalerweise musst du erst mit mir essen gehen, um mir an die Klöten zu packen.“ Er versteht keinen Spaß. Dann ab, in ein Minikabuff. Warten ist angesagt. Es kommt mir vor wie Stunden, dauert aber wohl nur Minuten. Brett geht auf und ein Haufen Bremser, die alle so tun, als hätte ich ihnen die Alte ausgespannt, bringen mich zum Strippen auf die
Kammer. Passende intakte Kleidung ist wohl grade aus. Ich weise darauf hin, dass ich U-Häftling bin, weil ich gegen das Urteil Rechtsmittel der Revision eingelegt hab. Deshalb stehe mir meine Privatkleidung zu.

„Ne, nicht in Hagen.“

„Wieso, ist Hagen eine Insel mit eigenem Recht?“
„Nein, Sie bekommen Anstaltskleidung damit Sie mit Ihren Sachen keine Geschäfte machen können.“
Spüre, dass es keinen Sinn macht zu diskutieren, ziehe mich an. Danach schiebt mir ein Bremser meine Uhr und zwei goldene Ringe rüber.

Ich frage: „Die darf ich haben?“
„Jo.“
„Ah so, ich kann Ihrer Meinung nach, mit meiner Hose in Größe 60 hier bessere Geschäfte machen als mit Schmuck.“

Aha, lachen können Sie auch. Danach geht es auf Abteilung 2, Gemeinschaftszelle. Ich bin der einzige auf der Box. Nach ein paar Minuten ungläubigen Umschauens, geht das Brett auf und ein Typ, der sich Acci nennt, wird rein geschickt. Er stellt sich vor und fängt direkt an zu jammern. Es stellt sich raus, dass er wegen 340 Euro hier ist, die zu zahlen sind. Nachdem er mir schon Blasen ans Ohr gejammert hat, sag ich ihm, dass er es einstellen soll, wenn er nicht möchte, dass ich vor Freude detoniere. Er fragt, wie lange ich noch bleiben muss. „Acht Jahre.“ „Oh, seit wann bist du hier?“ „Seit fünfzehn Minuten, verstehst du mein Problem?“ Er verstand es und hielt die Fresse. Nach dem wohl schlechtesten Spinat, den ich je gekostet habe, wurde ich auf Abteilung 1, Box 138 verlegt. Immerhin ne Einzelbox. Nachdem ich alles was mir geblieben ist verstaut habe, also zwei Minuten später, setze ich mich an den Tisch und betrachte die sieben Quadratmeter Wohnschlafklo. Fett versifft die Bude. Waschbecken aus Kunststoff, schön klebrig. Das Klo erzeugt Würgereiz. Schrank kaputt, Bett rostig, Schamwand lose und wie die Zelle in Resedagrün gestrichen. Das kleine Fenster auf 1,80 Meter Höhe lässt kaum Licht rein. Ich kann nicht richtig denken. Das kann es doch nicht sein. Ist es aber! Nix auf der Hütte, keine Musik, kein TV, kein Kaffee. Gut, dass ich, zu der Zeit wenigstens, nicht geraucht hab. Ich falle in so ne Art Schockstarre, bis ich mich gegen 19 Uhr auf die Pritsche haue. Schlecht geschlafen, viel Gebrüll im Hof. Um 5 Uhr die Duchsage: „Die Nachtruhe ist beendet.“ Nicht mal guten Morgen. War ja auch keiner. Als die zweite Freistunde im Hof ist, steig ich auf den Stuhl, um zu sehen, ob ein bekanntes Gesicht auftaucht. Als wenn ich es gefühlt hätte. Der Zweite, der an meinem Loch vorbeikommt ist Heiko, mein ehemaliger Vice President. Coole Nummer, fühle mich gleich wohler. Von jetzt an kann es nur noch bergauf gehen. Zwar in super kleinen Schritten, aber bergauf. Ein Jahr haben sie mich in Hagen abkacken lassen. Ich weiß, dass es nicht weiter interessiert, aber das niederzuschreiben, hat mich vom Knastalltag abgelenkt, was schon mal die halbe Miete ist. PAROLE DURCHHALTEN!