Montag, 30. Mai
Unser erster offizieller Termin führte uns in die technische Stadtverwaltung von Kopenhagen. Dort empfing uns Kristine Munksgård Pedersen aus dem städtischen Strategie-Büro. Sie gab einen Überblick über Kopenhagens ambitionierte Pläne für eine nachhaltige Entwicklung der Kommune und die angestrebte CO2-Neutralität bis 2025. Investitionen und neue Konzepte im Bereich der Verkehrsinfrastruktur standen ebenso im Fokus.
Kopenhagen hat es sich zum Ziel gesetzt, eine lebenswerte Stadt zu sein. Nicht nur deshalb muss schon jetzt jeden Monat für bis zu 1000 neue Einwohner*innen Lebensraum und entsprechende Infrastruktur geschaffen werden. Die Stadt möchte dabei „grüner“ und „blauer“ werden. Letzteres ist durch die Wiedergewinnung des inneren Hafens als Naherholungsgebiet im Stadtzentrum bereits Wirklichkeit geworden. Das in der Vergangenheit stark belastete Wasser ist heute wieder für den Schwimmbetrieb freigegeben. Das Leben kehrt zurück an die Ufer.
Gleich im Anschluss an das Treffen im Rathaus folgte eine informative Radtour mit Lars Testmann und zwei Arbeitskollegen von der Beratungsgesellschaft Rambøll. Während Lars die teils vorbildhafte verkehrstechnische Infrastruktur der Innenstadt vorstellte, schlug er auch kritische Töne an und verwies auf die noch zahlreichen „missing links“ im Straßen- und Fahrradwegenetz. Auch wurde schnell deutlich, dass der Umstieg vom Auto auf das Fahrrad nicht automatisch alle Probleme der Stadtplanung löst, sondern ebenso neue zu schaffen vermag. Der notwendige intelligente Umgang mit den schieren Massen an Drahteseln wurde am Bahnhof Nørreport gezeigt. Halb in den Boden eingesenkte Stellplätze bieten Raum zum Parken des Fahrrads, fangen bei Unwetter kurzzeitig Regenmassen auf und ermöglichen weiterhin einen ungestörten Blick über den gesamten Platz.
Dienstag, 31. Mai
Das Louisiana Museum of Modern Art war der erste Anlaufpunkt des nächsten Morgens. Der auf den ersten Blick provinziell anmutende Bau hat es im wahrsten Sinne des Wortes in sich. Nachdem wir durch das ursprüngliche Herrenhaus in das Besucherfoyer treten, ergibt sich für uns der Blick auf die prachtvolle, mit Skulpturen gespickte Parkanlage. Der Bauherr Knud Jensen und die dänischen Architekten Bö und Wohlert schufen inmitten einer Idylle ein architektonisch beeindruckendes Museum, das seinesgleichen sucht. Die weitläufigen Ausstellungssäle sind unter dem Erdreich verborgen. Das Museum entfaltet seine Wirkung durch die einmalige Topographie und das Wechselspiel zwischen Ruhe und Spannung, Größe und Heimlichkeit sowie Außen und Innen.
Bei unserem Besuch wartete das Museum neben seiner Dauerausstellung (von Werken u.a. von Yves Klein, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Georg Baselitz, Max Ernst, Joan Miró, Henry Moore, Alberto Giacometti und dem dänischen Modernisten Asger Jorn) mit einer Retrospektive kinetischer/optischer Kunst von ihren Anfängen bis zu ihren zeitgenössischen Vertretern auf.
Am frühen Nachmittag trafen wir Kurt Chirstensen, einen bei der zurückliegenden Überplanung des alten Schlachthof-Viertels und Teilen Vesterbros beteiligten Architekten. Unser Treffpunkt am DGI-Byen war zugleich der erste Anlaufpunkt: Ein halböffentlich geführtes Sport-, Aktivitäten- und Freizeitzentrum, das nicht nur durch die clevere ovale Endlos-Schwimmbahn im Hallenbad als bautechnische Lösung überzeugte. Das Schlachthof-Viertel wurde näher erkundet, u.a. konnten wir im öffentlichen Musikzentrum einem Streichkonzert von Kindern- und Jugendlichen lauschen. Die Fülle an Angeboten für die Bürger*innen allein im Schlachthof-Viertel war eindrucksvoll. Der Stadtteil Vesterbro profitierte neben der Neuerschließung des alten Schlachthof-Viertels ungemein von der Sanierung längst maroder Wohngebäude. Neben einer allgemeinen Modernisierung (Anschluss an das Fernwärme-Netz, Ausstattung aller Wohnungen mit eigenen Sanitärräumen) wurden ganze Strukturen entfernt oder neu modelliert, um einer anderen Sozialstruktur Platz zu schaffen.
Kleinstwohnungen wurden für familiengerechtes Wohnen zusammengelegt, Hinterhof-Bebauungen entfernt und durch gemeinschaftlich gepflegtes Parkgrün ersetzt. Die Erneuerung des Stadtteils ging offenbar mit einer teilweisen Verdrängung alter und zumeist ärmerer Milieus einher. Doch noch hat Vesterbro seinen alten Charme nicht verloren, sondern vielmehr an gebotener Lebensqualität für alle dazugewonnen. Der Umbau geschah in enger Kommunikation mit den Bewohnern des Viertels, den Wohnungsinhabern sowie Kommune und Land. Ein so beherzter und gelungener Eingriff in alte Strukturen wäre ohne diese Verständigung untereinander und die nötigen Geldmittel nicht möglich gewesen.
Mittwoch, 1. Juni
Eric Poscher, begeisterter Radfahrer und Cargo-Bike-Experte, lud uns ein, die Entwicklung und Szene der Cargo-Bikes (Lastenräder in verschiedenen Ausführungen/Konstruktionen) in Kopenhagen zu erkunden. Seine Tour führte uns zunächst zur Geburtsstätte der Cargo-Bikes bzw. des bis heute allseits beliebten Ur-Modells „Christiania“, in der freien autonomen Siedlung Christiania. Längst wird das Bike in den dortigen Schmieden nicht mehr selbst produziert, sondern im Ausland gefertigt. Das Design ist und bleibt jedoch ein dänischer Klassiker, der im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Innovationen erfahren hat. Inzwischen ist es sogar möglich, mithilfe einer Open-Source Lösung ein Cargo-Bike zuhause zusammenbauen (Pläne und Kits von XYZ Cargo: http://www.xyzcargo.com/?page_id=562).
Nach einer Mittagspause im Norrebropark und mit einer auf einem Cargo-Bike gebackenen Pizza von Bike & Bake (Ein Pizzaofen, montiert auf einem modifizierten Rahmen von XYZ Cargo, Gesamtgewicht min. eine halbe Tonne: https://www.facebook.com/bikeandbakecopenhagen) im Magen ging es auf zu einer geführten Walking-Tour zum Thema nachhaltiger Stadtentwicklung in Norrebro mit Eva Diekman. Norrebro erfuhr als erstes der ehemaligen Arbeiter-Quartiere wie Vesterbro eine Stadtteil-Sanierung im großen Stil. Ohne Rücksicht auf die örtlichen Belange sollten ganze Häuserzeilen abgerissen werden, wogegen sich die Anwohner erfolgreich zur Wehr setzten. Ein schonender Umbau begann und heute finden sich in dem bis heute zu den Problemstadtteilen zählenden Norrebro zahlreiche nachhaltig wirtschaftende Start-Ups, Einzelhändler und Urban Gardening Projekte.
Besonders stach der vertikale Hydroponische Garten im IKEA Stil nahe des Hans Tavsens Park heraus. Bis zum in den Straßen kultivierten Gemüse für alle ist es aber noch ein weiter Weg, wie uns schien. Eine kleine Kostprobe der innovativen Ideen aus Kopenhagen wurde uns in Form des inzwischen allseits bekannten Stadtteil-Honigs gereicht. Jedes Bienenvolk produziert Honig mit ganz eigenem Geschmack, abhängig von der Flora, die ihnen die Stadtflächen und privaten Gärten bieten (Mein Favorit: Amagerbro).
Donnerstag, 2. Juni
Der Donnerstag stand ganz im Zeichen der energetischen Erneuerung und städtebaulichen Erweiterung Kopenhagens. Die Energieversorgung und der Aufbau benötigter Infrastruktur wird in Kopenhagen durch die zu 100 Prozent in kommunaler Hand befindlichen Stadtwerke HOFOR vorangetrieben. Die nicht gewinnorientierte Organisation ist für die Energie-, Gas- und Wasserversorgung, die Abwasserentsorgung sowie Nahwärme- und -kälteversorgung zuständig. Wir wurden herzlich in den Räumen von HOFOR empfangen und ein Rundgang durch eines der Spitzenlast-Kraftwerke leitete über in eine umfangreiche Präsentation der Aktivitäten. Besonders das inzwischen zu 99 Prozent ausgebaute Fernwärme-Netz beeindruckte die Gruppe. Aber ebenso die Reinigung der Hafengewässer geht in die sehr positive Bilanz der Stadtwerke ein.
Direkt im Anschluss wurde die ARC Müllverbrennungsanlage in Amager angesteuert, um sich ein Bild von der Müllverbrennung als Energielieferant machen zu können. Neben erneuerbaren bzw. CO2-neutralen Energieträgern wird in Kopenhagen auch in Zukunft zu einem hohen Anteil auf Müllverbrennung gesetzt. Eine derzeit im Bau befindliche neue Anlage, soll durch die Ausrüstung mit modernster Filtertechnik den Schadstoff-Ausstoß deutlich reduzieren können. Eine Neuerschließung des umliegenden Geländes für Wohnbebauung wird durch die dann wegfallende Geruchsbelästigung möglich. Die herausgefilterten Partikel, sowie das nicht rückstandlos verbrannte Material (gebundenes aber immer noch schwermetallhaltiges Granulat) werden gesammelt und schließlich in den Straßen Kopenhagens als Asphalt-Unterlage oder für Fundamente verbaut. Nette Idee: Das Dach der neuen Verbrennungsanlage kann ganzjährig als Aussichtspunkt und Skipiste genutzt werden und soll dem bisher sehr unbelebten Stadtteil Zulauf verschaffen. Die Skifahrer werden aber auf echten Pulverschnee verzichten und mit einem Bodenprofil aus Plastikkugeln Vorlieb nehmen müssen.
Am Nachmittag erwartete uns Bo Christiansen, Architekt, Architektur-Vermittler und Inhaber von Scaledenmark. Bo zeigte uns Ørestad, das großangelegte Neubesiedlungs-Projekt südlich der Innenstadt Kopenhagens. Geplant als krasser Gegensatz zur alten Struktur der inneren Stadtteile, soll Ørestad nach Fertigstellung ca. 20.000 Menschen Wohnraum bieten und bis zu 60.000 Arbeitsplätze unterbringen. Die bauliche Umsetzung, der teilweise äußerst innovativen Planungen und Architektur-Entwürfe, scheint jedoch in den letzten Jahren ins Stocken geraten zu sein. Die Finanzkrise hat Dänemark schwer getroffen. Damit verbunden war ein Bau- und Investitionsstopp in Ørestad, der sich aber nach Aussage von Bo wieder aufzulösen scheint. In der Zwischenzeit werden ausgewiesene Bauflächen mit geringem Aufwand als Naherholungs- und Sportflächen für die ersten Bewohner Ørestads umgenutzt.
Das 8-Haus der Bjarke Ingels Group (BIG), die sog. VM-Häuser (BIG, JDS Architects, Plot) und der VM-Berg (BIG) waren Anlaufpunkte der Tour durch den weitläufigen Stadtteil. Bewohner des spektakulären 8-Hauses erreichen ihre Wohnungen von außen über einen sich entlang der acht-förmigen Gestalt des Hauses bis hoch in die elfte Etage schlängelnden Fahrrad- und Fußweg. Die untere Etage ist reserviert für Büros, Cafes und Lebensmittelgeschäfte. Ein Gesellschaftsraum im Angelpunkt der 8 steht für alle Bewohner zur Verfügung und kann für größere Festivitäten gemietet werden. Die Punzen der 8 sind als Innenhöfe mit Grünflächen angelegt. Die Flachdächer erstrahlen dank ihrer Bepflanzung in Grün-, Gelb- und Rottönen und vermögen es, das 8-Haus optisch in das angrenzende Naturschutzgebiet Amagerfeld einzubinden.
So sehr die einzelnen architektonischen Lösungen in Ørestad auch überzeugen mögen, so wenig ergibt sich bisher der Eindruck von Urbanität, geschweige denn ein zusammenhängendes Raumgefühl. Die Dimensionen mit denen Ørestad geplant wird, übersteigen das ansonsten aus Kopenhagen gewohnte menschliche Maß erheblich. Die Frage, ob solches Leben und Wohnen tatsächlich gewünscht wird, blieb im Raum stehen.
Freitag, 3. Juni
Bei dem Besuch des Dänischen Architektur Zentrums (DAC) wurde die Stadt der Zukunft in Form einer Smart City thematisiert. Augmented Reality, Datensicherheit und –missbrauch, der gläserne Bürger, neue Formen sozialer Interaktionen in der Stadt und Aussichten zur Stadtplanung wurden anschaulich präsentiert und miteinander in Bezug gesetzt.
Am DAC trennten sich dann auch unsere Wege, nach einer erfahrungsreichen und inspirierenden Woche in Kopenhagen.