26. Böll-Forum NRW: "Wenn du durch die Hölle gehst, dann geh weiter"

Erfahrungsbericht

Das 26. Böll-Forum nahm das Thema Belarus und die Situation der dort inhaftierten Frauen in den Fokus.  Am Abend des 22.11.2024 fand das Böll-Forum im Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf statt. Nach einer Einordnung des Themas durch Uli Burmeister (Vorstand HSB NRW) und Grußworten der Geschäftsführerin Iris Witt, wurde der 18. „Heinrich“ verliehen, der Initiativenpreis der Heinrich Böll Stiftung NRW. Der Preis ehrt wenig bekannte Initiativen oder Vereine, die sich für demokratische Teilhabe einsetzen und zum Nachahmen ermuntern. Als Preis erhält der Verein eines von 10 exklusiv für den Heinrich-Preis angefertigten Originalkunstwerken des Künstlers René Böll, die von Zitaten seines Vaters und Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll inspiriert wurden. Die Kunstwerke sind mit einer speziellen asiatischen Pinselkunsttechnik angefertigt.

Lesedauer: 7 Minuten
Das Bild zeigt eine Seitenaufnahme von Menschen in einem Sitzpublikum.
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Bewegende Augenblicke beim 26. Böll-Forum NRW: Demokratie ist auch in Europa keine Selbstverständlichkeit.

Der diesjährige Heinrich-Preis geht an das Bürgerzentrum Windeck (BüZe). Das Bürgerzentrum Windeck ermöglicht eine Form der zivilgesellschaftlichen Teilhabe, die auf Offenheit und Gleichberechtigung setze. Dem „BüZe“ gehe es in erster Linie darum, den Bürger*innen von Windeck einen Ort zur Verfügung zu stellen, an dem diese eigene Projekte und Ideen umsetzen können und die Angebote des Bürgerzentrums nutzen können. Dabei gibt es eine große Vielfalt an Angeboten, die von Beratungsgesprächen, politischen Initiativen, Sprachkursen, bis zu einem Schachclub oder Skatrunden reichen. In der Laudatio betonte die Bürgermeisterin von Windeck, Alexandra Gauß, vor allem das Anliegen des Bürgerzentrums, Menschen unabhängig von Alter, Religion, Partei oder Einkommen zusammenzubringen und durch soziale, kulturelle, überkonfessionelle und überparteiliche Aktivitäten zwischenmenschliche Begegnungen zu ermöglichen. Auf politischer Ebene engagiere sich das Zentrum zum einen sehr stark in der Geflüchtetenhilfe, indem es Integrations- und Sprachkurse anbietet, zum anderen biete das BüZe aber auch Platz für Klimainitiativen. Es gehe allerdings nicht nur um den politischen Kontext, sondern auch um Freizeitangebote, da Begegnungen die Grundlage für Demokratie sind.

Mit einem Vortrag unter dem Titel „Heinrich Böll und die Dissidenz“ schlugen  Markus Schäfer und Maria Birger vom Heinrich-Böll-Archiv Köln die Brücke zu unserem Namensgeber. Noch heute ist die Relevanz Heinrich Bölls besonders im politischen Kontext von Dissident*innen spürbar.

Danach wurde der Saal abgedunkelt. Der Einstieg in das Thema Belarus war ein sehr bewegender 25-minütiger Film, der die Lieder und die Stimmung derjenigen wiedergab, die in den Gefängnissen von Belarus vor allem aufgrund des geleisteten Widerstands gegen Lukaschenko in Haft sitzen müssen. Cordelia Dvorák ist es mit diesem Film gelungen, uns emotional nah an die Schicksale der inhaftierten Frauen in Belarus‘ Gefängnissen zu versetzen. Nach diesem künstlerischen und eindrücklichen Film war eine große Ergriffenheit im Saal spürbar. Ein ähnliches Ziel verfolgt auch ihr Buch, das sie zum Film inspirierte. In ihrer Anthologie ist eine Sammlung von Briefen von Frauen dargestellt, die in Belarus unter Lukaschenko im Gefängnis inhaftiert sind und direkt aus dem Gefängnis heraus ihre Geschichte teilen. 

Der Auslöser für diesen Zustand waren die manipulierten belarussischen Präsidentschaftswahlen 2020, die zum einen die sechste Amtszeit von Alexander Lukaschenko seit 1994 zur Folge hatten und zum anderen eine große Welle an Protesten im Land auslöste, deren mediale Wirkung bis nach Deutschland reichte und zu vielen Solidaritätsbekundungen führte. Auch nach dem Beginn  des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, in dem Belarus unter Lukaschenko als Verbündeter von Russland agiert, wurde medial viel über Belarus berichtet. Doch seitdem ist es eher ruhiger um das osteuropäische Land in der deutschen Berichterstattung geworden. Umso wichtiger ist es, die schwierige und teilweise unvorstellbare Situation in Belarus nicht zu vergessen.

Denn noch immer sitzen viele der Menschen, die gegen Lukaschenko demonstrierten, im Gefängnis. Am bekanntesten ist der Fall der Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa, die im September 2020 festgenommen wurde und seitdem als politische Gefangene in Belarus in Isolationshaft sitzt. Vor wenigen Wochen war es Kolesnikowas Vater nach über 600 Tagen wieder erlaubt, seine Tochter zu besuchen. Dieses unvorstellbare Schicksal ereilte Kolesnikowa, da sie als eine der wenigen Oppositionellen nicht ins Exil floh, sondern sich dafür entschied, in Belarus zu bleiben.

Dramatisch wird die Vorstellung, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in Belarus nach Angaben von Amnesty über 1400 Menschen diesen katastrophalen Haftbedingungen ausgesetzt sind.

Aus diesem Grund haben wir beim diesjährigen Böll-Forum genau diese Menschen und ihre Schicksale als Thema gewählt. Nach dem Film wurden diese Themen in einer Podiumsdiskussion unter der Moderation der Journalistin Dr. Katja Artsiomenka mit Cordelia Dvorák, MdB Robin Wagener und der ehemaligen Gefangenen und Menschenrechtsaktivistin Natallia Herrsche vertiefend diskutiert. In Interviews haben mir Cordelia Dvorák und die Moderatorin Dr. Katja Artsiomenka berichtet, was ihnen bei dieser Thematik besonders wichtig ist:

Cordelia Dvorák erinnert sich im Besonderen an „die Situation der politischen Gefangenen in Belarus, insbesondere der Frauen, aber auch speziell die Hafterfahrung von Natallia Hersche und ihre Formen der Resilienz und des Widerstands in der Zelle“. Auch war für sie das Thema der „Angst" und der Umgang mit dieser ein zentraler Punkt der Podiumsdiskussion. In diesem Zusammenhang betont Dvorák die Bewunderung für „diesen einen Entschluss, wenn man sich einmal für den Kampf für die Freiheit und Demokratie entschieden hat, wie weit man bereit ist, diesen Weg zu gehen mit allen Konsequenzen“ – wofür die Zeugnisse der Frauen aus belarussischen Gefängnissen, die in der Anthologie zusammengetragen sind, ihrer Meinung nach stehen. Für Katja Artsiomenka, die durch ihre Rolle als Moderatorin eine andere Rolle in der Diskussion hatte, war die Verbindung aus traumatischen Belastungen und der politischen sowie kulturellen Perspektive wichtig. Auch war für sie zentral, wie die Sicht im Ausland auf Belarus ist und ob man die Problematik einer Diktatur in der Nachbarschaft überhaupt wahrgenommen wird. Genauso wie die Frage, wie man Menschen hier aus unserer Demokratie helfen kann.

In dieser Galerie sind einige Impressionen festgehalten:

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Wie es aber so oft ist, reicht eine Stunde bei einer Podiumsdiskussion bei weitem nicht aus, um ein Thema komplett zu fassen. Daher ist Frau Dvorák und Frau Artsiomenka noch die Möglichkeit gegeben, etwas an dieser Stelle anzufügen, was aufgrund der Zeit in der Diskussion  für sie zu kurz gekommen ist: Cordelia Dvorák hätte gerne noch über „neue Schritte im Umgang mit Lukaschenko und die Wirksamkeit möglicher Verhandlungen zur Freilassung der politischen Gefangenen“ gesprochen. Sie hätte gern über „weitere Initiativen von politischer Seite in Europa und Deutschland diskutiert, die das Ziel haben können, Strafverfahren gegen das Regime einzuleiten und umzusetzen beziehungsweise Aspekte, die von der Zivilgesellschaft noch verfolgt werden könnten“. Frau Artsiomenka formulierte es so, dass ein Fokus auf die bestehende Verantwortung auf politischer und menschlicher Ebene liegt und sie fragt, wie diese aussehen sollte. Vor allem gehe es ihr dabei um das Bewusstsein, welches Risiko durch eine Veröffentlichung der eigenen Meinung für die belarussischen Menschen auch in Deutschland besteht. Auch sei es ihr wichtig, individuelle Schicksale zu verstehen, da diese bei Wahlen oder in der öffentlichen Diskussion häufig zu kurz kommen. 

Der abschließende Blick auf Belarus sieht bei Frau Dvorák pessimistisch und besorgt aus. Sie sei fassungslos, dass ein derartiger Staatsterror in Europa weiter besteht und man so wenig dagegen machen kann, weshalb für sie umso wichtiger sei, alle möglichen Initiativen und Foren zu nutzen, um auf diese Situation hinzuweisen. Frau Artsiomenka sehe es als einen langen Marathon, der einem Wandel vorausgehen muss, da es kurzfristig kaum Lösungen gäbe. Dazu brauche es auch ein stärkeres Vorgehen der EU, da beispielsweise Sanktionen zu leicht umgangen werden können oder auch Firmen noch mit Belarus kooperieren und eine stärkere Unterstützung für die bereits bestehenden Initiativen, die für sie eine Hoffnung sind.