Europa und die USA in der Beziehungskrise? Am 10. Mai widmete sich der erste digitale Grüne Salon Bielefeld unter dem Titel America first? Transatlantische Beziehungen im Blick diesem Thema. Mit Rachel Rizzo vom Center For A New American Security und Marc Berthold, dem Leiter des Referates EU und Nordamerika der Heinrich Böll Stiftung, waren zwei Fachexpert*innen zu Gast und skizzierten die aktuelle Lage und Wege aus der aktuellen Krise.
Marc Berthold schilderte zunächst in einem Input den historischen Kontext der transatlantischen Beziehung, auch besonders das Verhältnis zwischen USA und Bundesrepublik Deutschland. Kurz nach dem Tag der Befreiung betonte er die besondere Rolle der USA für die Wiedereingliederung Deutschlands in eine europäische Staatengemeinschaft. Auch wenn es heute in großen Teilen des demokratischen Spektrums in Deutschland als nahezu selbstverständlich gilt, dass man den Vereinigten Staaten nähersteht als Russland, war dies rund um 1968 keineswegs Konsens. Damals wurde die Westbindung durchaus infrage gestellt. Und auch heute zeigt sich die Qualität des transatlantischen bzw. deutsch-amerikanischen Verhältnisses auch immer im Zusammenhang mit dem amtierenden US-Präsidenten. So stellte Marc Berthold die These in den Raum, dass die Deutschen bei einer höheren Zufriedenheit mit dem US-Präsidenten, wie im Falle Obama, über mehr hinwegzusehen bereit sind, als bei einer höheren Unzufriedenheit, wie im Falle Trump. Bertholds Grundannahme ist jedoch, dass auch in kritischen Zeiten die liberale Demokratie nur gemeinsam, also transatlantisch, mit den USA zu erhalten ist.
Rachel Rizzo knüpfte an die These Bertholds zum Zusammenhang von US-Präsidentschaft und Qualität der transatlantischen Beziehung an. Dabei schilderte sie, dass bereits vor Trump einiges im Argen lag. Somit wird jedoch auch deutlich, dass die diesjährige Präsidentschaftswahl eine maßgebliche Weichenstellung für die weitere Entwicklung der transatlantischen Beziehungen sein wird. Das global existenzielle Thema des Klimawandels ist unter der aktuellen US-Regierung unterrepräsentiert, auch wenn junge Politiker*innen wie Alexandra Ocasio-Cortez auf eine Alternative Wirtschaftsweise drängen und einen Green New Deal setzen. Eine politische Mehrheitsverschiebung hin zu den US-Demokrat*innen könnte somit auch zu einer politischen Wende und progressiver Klimapolitik führen. Ein Schlüssel bei der Betrachtung des Verhältnisses von Europa und USA ist China. Während die USA China als effizienteren Partner (, auch aufgrund des autoritären politischen Systems) betrachten, bietet dieses Land für Europa gleichzeitig einen alternativen Handelspartner. Ein normatives Bindeglied zwischen USA und Europa besteht in diesem Fall bei den Menschenrechten. Als demokratische Staaten bzw. Staatenverbund bieten die Menschenrechte eine wichtige gemeinsame Grundlage in der Außenpolitik, was auch gegenüber autoritären Staaten wie China, wo Menschenrechtsverletzungen häufig zutage treten, deutlich wird. Gegenwärtig scheint dieses Bindeglied jedoch nicht stark genug zu sein und wird außenpolitisch nicht als zentrale gemeinsame Linie verfolgt.
In einem Themenblock zu einem Umgang mit der aktuellen Beziehungskrise und möglichen Auswegen verwies Marc Berthold auf andere politische Wege und Ebenen. Als Beispiel führte er Partnerschaften zwischen europäischen Ländern oder Bundesländern mit amerikanischen Bundesstaaten an. Hier gilt Baden-Württemberg unter Winfried Kretschmann als Vorreiter in Sachen transnationaler Klimabündnisse, in diesem Fall mit Kalifornien. Auch Rachel Rizzo betonte, dass Zusammenarbeiten und Partnerschaften das Verhältnis zwischen USA und Europa verbessern können, solange Wandel auf höheren Ebenen nicht absehbar ist.
In spezifischen Nachfragen wie den großen Beiträgen der beiden Fachexpert*innen wurde immer wieder deutlich, dass die diesjährige Präsidentschaftswahl über die Entwicklung der transatlantischen Beziehungen in den kommenden Jahren entscheiden wird. Mit Donald Trump haben sich die Republikaner von einem multilateralen Ansatz mit der EU zusehends distanziert, der Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen bedeutet eine fundamentale Abkehr von einem gemeinsamen Vorgehen bei der Bekämpfung einer existenziellen Menschheitskrise und auch in der Handelspolitik wird das Motto America first durch Zölle und Handelsbarrieren zur Realität. Auch wenn Marc Berthold nicht daran glaubt, dass China die USA perspektivisch ablöst, so ist die Sorge um die liberalen Demokratien durchaus berechtigt. Daher ist sein Ansatz auch in dieser Beziehungskrise, dass liberale Demokratien mit liberalen Demokratien zusammenarbeiten müssen. Laut Rachel Rizzo müssen Gespräche daher aufrecht erhalten werden und die Zusammenarbeit über andere Ebenen weiterhin gepflegt werden. In jedem Fall lässt sich jedoch festhalten, wie wichtig es ist, wer in den USA an der Spitze des Staates sitzt. Mit Blick auf die großen globalen Herausforderung vom Zusammenleben nach Corona, dem Klimawandel bis zu Gerechtigkeitsfragen wird sich mit der kommenden Präsidentschaftswahl zeigen, ob Europa im Weißen Haus einen zuverlässigen Partner hat.