45. Grüner Salon Bielefeld: Wie weiter mit der EU?

Veranstaltungsbericht

Der Trägerkreis des Grünen Salons Bielefelds konzipierte den 45. Salon als „Selbstvergewisserung in unsicheren Zeiten“. In Vortrag, Praxisbericht und Diskussion wollten wir uns auf die Suche machen nach den Gelingensbedingungen für eine starke und demokratische verfasste EU und hierbei weniger nach dem suchen, was misslingt als nach dem, was gelingt. 

Das Bild zeigt Menschen auf Stühlen bei einer Veranstaltung, die einer Bühne zugewandt sind.

Helga Boldt - Mitglied der ersten Stunde im Trägerkreis des Grünen Salons Bielefeld - führte in die Veranstaltung ein. Die Erwartungen an die EU seien unscharf, möglicherweise wegen der nicht so recht wahrnehmbaren Auswirkungen der EU-Politik auf unser Alltagsleben. „Der Brexit steckt uns noch in den Knochen“, so Helga Boldt. In vielen Mitgliedsstaaten der EU hätten europakritische oder rechtspopulistische Parteien an Zustimmung gewonnen. 

Aber klar sei auch, dass keine der großen politischen Aufgaben, denen sich unserer Generation zu stellen habe, auf einzelstaatlicher Ebene zu bewältigen sei. Dennoch seien wir unsicher, welche Rolle der EU im Kontext der gerade stattfindenden globalen Machtverschiebungen zukommen solle. „Die EU strahlt nicht, obwohl wir uns doch alle mit großer Überzeugung als Europäerinnen und Europäer bezeichnen.“ Sie diene zu häufig als Projektionsfläche für Ressentiments aller Art – als „Bürokratiemoloch“ mit „Regelungswut, andererseits werde Angst in vielen Mitgliedsstaaten geschürt vor „nationalem Kontroll- und Identitiätsverlust.

Dr. Uwe Günther - ebenfalls Gründungsmitglied des Grünen Salons Bielefeld - skizzierte in seinem Statement die Rahmenbedingungen des politischen Handelns im öffentlichen Raum. Obwohl in den letzten Jahrzehnten immer mehr Entscheidungen auf die europäische Ebene verlagert worden sind – es betrifft Wirtschafts- und Finanzpolitik, Umwelt- und Verbraucherpolitik, neuerdings auch Außen- und Verteidigungspolitik einschließlich Flüchtlings- und Einwanderungspolitik - ist es den Parteien und Regierungen bis heute nicht gelungen die wirkliche Bedeutung der europäischen Politik für jede und jeden Einzelnen zu erklären. 

Zu geschlossenen Schlagbäumen will aus der Generation, die das noch erlebt hat, kaum jemand zurück. Aber mehr Öffnung? Mehr Kooperation? Gemeinsames Handeln im Klimaschutz, beim Schutz der Menschenrechte, auch bei der Regelung von Migration? 

Dr. Sonja Schiffers - Leiterin des Regionalbüros Südkaukasus der Heinrich Böll Stiftung in Tiblissi - bereicherte die Veranstaltung mit einem Video-Einspieler. In einem Kurzbericht berichtete sie über ihre Arbeit in Georgien und Moldawien. Diese bei uns weniger bekannten Regionen sind durch den russischen Krieg gegen die Ukraine und seinen regionalen Auswirkungen stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Trotz des Vordringens der durch Russland gesteuerten Propaganda sind die Orientierung an demokratischen Werten und individuellen Freiheitsvorstellungen immer noch populär. Den Mitschnitt ihres Beitrags findet ihr hier:

Grüner Salon Bielefeld: Impuls Dr. Sonja Schiffers - Heinrich Böll Stiftung Nordrhein-Westfalen

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Dr. Anna Lührmann - 2002 das jüngste Mitglied des Deutschen Bundestages und heute, nach vielen Jahren intensiver wissenschaftlicher Arbeit in den Bereichen internationale Politik und Demokratieforschung - Staatsministerin für Klima und Europa im Auswärtigen Amt - berichtete in einem gleichermaßen persönlich geprägten wie sachlich fundierten Beitrag über ihre Arbeit. Sie bestätigt den von Sonja Schiffers vermittelten Eindruck aus Georgien und Moldawien: „Die Bevölkerung möchte in die EU. Dabei spielen kulturelle Gründe, das demokratische Freiheitsversprechen und die Aussicht auf Wohlstand eine Rolle.“ 

Anna Luehrmann
Dr. Anna Lührmann

Anna Lührmann widersprach dem Vorurteil, dass durch einen Beitritt von Georgien, Moldawien und weiterer südöstlicher Beitrittsaspiranten die EU zusätzlich belastet werden würde. Im Gegenteil gelte, dass von einer Kooperation beide Seiten profitieren könnten. Zur aktuellen EU-Flüchtlingspolitik mit dem Überbietungswettbewerb bei restriktiven Maßnahmenvorschlägen bezog Anna Lührmann eine klare Position: „Die Vorstellungen von Friedrich Merz und großen Teilen der CDU sind mit den Zielen von Adenauer und Kohl, die einen echten Binnenmarkt – Freizügigkeit von Waren und Menschen - vor Augen hatten, immer weniger vereinbar.“

So seien z. B. die Digital- und Solarbranche ebenso wie die Agrarwirtschaft und die großen Schlüsselindustrien auf einen funktionierenden und im Weltmaßstab funktionierenden EU-Binnenmarkt angewiesen. Die industriellen Transformationen, die durch den Green Deal und den Clean Industrial Act der EU unterstützt würden, seien die Voraussetzung dafür, dass Europa auch zukünftig eine global starke wirtschaftliche Rolle spielen könne. 

In der anschließenden lebhaften Diskussion wurde gerade von älteren Teilnehmenden deutlich Bezug genommen auf die Erfahrungen der Nachkriegszeit, die Zeit des großen Misstrauens und der geschlossenen Schlagbäume innerhalb Europas. Wer nicht in diesen Modus zurück will, ist aufgefordert, an einer positiven Geschichte Europas mitzuschreiben – so das Fazit der Diskussion.