Klimaproteste und Demokratie – müssen wir demokratischer werden?

Veranstaltungsbericht

„Es ist Zeit, dass unsere Demokratie demokratischer wird!“ So beginnt die Presseerklärung der Letzten Generation zu ihrem einjährigen Bestehen am 23. Januar 2023. Begründet wird diese allgemeine Forderung mit der Feststellung: „Konzerne kapern unsere Demokratie – und keiner tut etwas dagegen.“ Das Handeln der großen Energiekonzerne – genannt werden Exxon, Shell und British Petroleum – ist gegen die vitalen Interessen der Vielen gerichtet, die den Folgen des Einsatzes von klimaschädlicher fossiler Energie ausgesetzt sind, wobei jedoch die entsprechenden Milliardengewinne von wenigen erzielt werden – so die Letzte Generation in ihrer Erklärung vom 24.01.2023

Das Bild zeigt ca. 60 Menschen von hinten, die auf Stühlen vor einer Bühne sitzen, auf der vier Personen sitzen.

Die Forderung nach mehr Demokratie wird durch ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 unterstützt. Hier wird festgehalten, dass klimapolitische Versäumnisse die Freiheit der Betroffenen massiv einschränken. Dies bedeutet vor allem eine wesentliche Freiheitsbeschränkung in der Zukunft und ist somit ein Problem der Generationengerechtigkeit sowie letztlich der Demokratie. (BVG - Pressemitteilung Nr. 31/2021 vom 29. April 2021.)

Der Grüne Salon vom 02. Mai 2023 knüpfte mit seiner Leitfrage "Klimaproteste und Demokratie – müssen wir demokratischer werden?" an diese Problemlage an. Seit den ersten Klimaprotesten gibt es eine Kontroverse um die angemessenen Aktionsformen, die von Bewegungen wie Fridays for Future, Ende Gelände oder der Letzten Generation getragen werden. Die Einschätzungen der Proteste reichen von legitim und legal bis hin zu strafrechtlich relevant und kriminell, wobei sich verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure, Wissenschaftler:innen, Politiker:innen und Parteien dazu positionieren. Die Initiator:innen des Aufrufs „Klimaschutz ist kein Verbrechen – Solidarität mit der Letzten Generation“ fassen ihren Aufruf so zusammen: „Wir sagen: Ziviler gewaltfreier Widerstand gegen die Klimanotlage ist legitim und notwendig und verdient unsere solidarische Unterstützung.“

Der Justizminister von NRW, Dr. Limbach, zog im Justizportal „Justiz online“ angesichts der Auseinandersetzungen im Dorf Lützerath eine klare Grenze, was er noch für legitim hält: „Die Legitimität von Protesten endet für mich dort, wo Gewalt gegen Menschen ausgeübt wird. Kein noch so legitimes Ziel rechtfertigt Gewalt gegen Menschen.“ Von anderer Seite werden jedoch völlig ohne Einschränkung und in pauschaler Weise die Aktionsformen der Klimaaktivist:innen als illegal und kriminell dargestellt.

So werden Exekutive und Staatsanwälte gegen Klimaaktivist:innen aktiv, zum Beispiel dadurch, dass ein Präventivgewahrsam in München auf Basis des Polizeiaufgabengesetzes angewendet wurde. Den bisherigen Höhepunkt der Kriminalisierung bilden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften in verschiedenen Bundesländern wegen “Bildung einer kriminellen Vereinigung”, in deren Folge bundesweit Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden. Die Leipziger Strafrechtlerin Kathrin Höffler spricht sich in ihrem Verfassungsblog vom 17. November 2022 jedoch eindeutig gegen eine Kriminalisierung der Klimaproteste aus: „Meine These lautet, dass selbst im Falle einer Strafbarkeit ein Labeling als Öko-Terrorismus beziehungsweise Schwerkriminalität nicht nur falsch, sondern sogar schädlich ist.“ (https://verfassungsblog.de/klima-raf-herbeireden/ , DOI: 10.17176/20221117-215718-0.) Sie reagiert damit auf Aussagen beispielsweise von Alexander Dobrindt, der von „Klima-RAF“ oder „Klima-Chaoten“ spricht und härtere Strafen sowie vorbeugenden Gewahrsam für „Wiederholungsstraftäter“ fordert. (s. Focus online, 04.12.2022.)

In jüngster Zeit werden auch Verbote ausgesprochen. So hat die Stadt Stuttgart in einer Allgemeinverfügung Straßenblockaden im Zusammenhang mit Klimaprotesten auf zentralen Straßen verboten. Die Sprecher:innen der Letzten Generation haben allerdings angekündigt, sich von diesem Verbot nicht aufhalten zu lassen.

Mit diesen Kriminalisierungsstrategien wird eine Umkehr der Gefahrenlage vollzogen: Nicht der Klimawandel mit seinen Auswirkungen, sondern der Versuch, auf die Folgen des Klimawandels und den Anteil der Verantwortung für jeden Einzelnen aufmerksam zu machen, wird als die eigentliche Gefahr herausgestellt. Die Journalistin und Essayistin Carolin Emcke spricht in einem Beitrag für die SZ daher von semantischer Subversion, also einer Verkehrung sprachlicher Regeln und Konventionen (Süddeutsche Zeitung Nr. 35, 11./12. Februar 2023). Sie schreibt: „Was schädlich, was bedrohlich, aus welcher Abhängigkeit es sich zu befreien gilt, und was dagegen unfrei macht, das gerät in semantischer Subversion durcheinander.“ In einer mutigen Selbstermächtigung definiert sie sodann den Begriff der Klimakleber um: „‘Klima-Kleber‘, wie es immer so herablassend heißt, wären demnach nicht die jungen Aktivistinnen und Aktivisten von der ‚Letzten Generation‘ oder ‚Extinction Rebellion‘, sondern vielmehr diejenigen, die an fossiler Energie oder an hoher Geschwindigkeit auf Autobahnen festkleben wie an einem Fetisch.“

Will man diese Diskussion einigermaßen sachlich  führen, muss man differenzieren zwischen den verschiedenen Strömungen und Gruppen innerhalb des Klimaprotestes. Für die Bewegung Fridays for Future gilt sicher, was die Bewegungsforscher Moritz Sommer u.a. in einem Beitrag für die IPB Working Papers Berlin (vom 08/2019) festhalten: „[Ein] Faktor für die breite öffentliche Zustimmung ist die Bescheidenheit der Kernforderung von FFF – die Einhaltung der gesetzlich verankerten Klimaziele des Pariser Abkommens.“ Für die Aktivist:innen der Letzten Generation wiederum ist die Beobachtung von Marco Bitschnau zutreffend, der schreibt: „Nicht Mehrheiten wollen diese gewinnen, sondern relevante Entscheidungsträger*innen mit pressure politics unmittelbar unter Druck setzen: Konfrontation statt Koalitionenbildung ist folglich das Leitprinzip.“ (aus: Demokratie-Dialog 10 (2022) S. 12. doi: 10.17875/gup2022-1939) Ist diese Feststellung richtig, dann muss man die Forderungen nach besserer Vermittlung des Anliegens und das „Mitnehmen“ der Bevölkerung noch einmal anders gewichten. Ist dies überhaupt das Ziel?

Eines kann man sicher sagen: Ohne ein Minimum an Vermittlung und Mitnahme der Bevölkerung ist nichts zu erreichen, gehen die Aktivitäten in gewisser Weise ins Leere. Hierzu passt eine aktuelle Meldung der Organisation „More in Common“, die feststellt, dass die Unterstützung für die Klimabewegung in Deutschland aktuell nachgelassen hat. Im Jahr 2021 waren noch 68 Prozent der Befragten bereit, die Bewegung zu unterstützen, im Mai 2023 war dieser Wert auf 34 Prozent gesunken. Das von der Organisation beauftragte Meinungsforschungsinstitut Kantar Public ermittelte auch, dass 85 Prozent der Befragten kein Verständnis für die Straßenblockaden der Letzten Generation haben und der Meinung sind, dass die praktizierten Protestformen häufig zu weit gehen. Pressure politics – dies sind die möglichen Folgen der gewollten Konfrontation. (s. den Bericht in der TAZ vom 27/07/2023, S. 07)

Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist die Grenze zwischen friedlichem Protest und Gewalt. Üben die Straßenblockierer:innen Gewalt aus, die über einen Protest hinaus geht? Die Strategien der Kriminalisierung greifen häufig auf den Gewaltvorwurf zurück: Ein massiver Eingriff in den Tagesablauf, wie ihn eine Blockade darstellt, sei durchaus eine Form der Gewaltausübung, so die Konstruktion. (s. den Bericht in Haufe online Redaktion vom 20/01/2023.) Die Frage ist sodann, was sich einem solchen Vorwurf entgegensetzen lässt, denn Blockaden gehen zweifellos über einen Protest etwa in Form einer angemeldeten Demonstration hinaus.

Ein häufig bemühtes Argument ist, dass die Bedrohung durch den Klimawandel – für einige Weltregionen schon Realität geworden – solche Aktionsformen legitimiert, die wie Straßenblockaden eine große Zumutung oder sogar wirtschaftliche Schäden für die betroffenen Autofahrer:innen bedeuten. Was ist ein Zuspätkommen eines Handwerkers gegen die Tatsache, dass in Ostafrika Millionen Menschen einer klimabedingten Hungersnot ausgesetzt sind? Die Juristen sprechen hier von einer Technik der Neutralisation, was bedeutet, dass das eigene, möglicherweise rechtswidrige Handeln dadurch aufgewogen wird, dass dasjenige, was bekämpft wird, gewalttätig ist. (s. Hans-Jörg Bertsch in seiner Dissertation „Neutralisationen und Normaktivation“ von 2009). Ob diese Argumentation stimmig ist, lässt sich nicht leicht entscheiden.

In diesem Spannungsfeld zwischen Kriminalisierung und legitimem Handeln bewegte sich die Diskussion beim überaus gut besuchten Grünen Salon in Düsseldorf. Der eingeladene Referent Lothar Kittstein, Aktivist der Letzten Generation und Mitinitiator des Aufrufs „Klimaschutz ist kein Verbrechen“ sowie deutscher Historiker, Autor und Theaterdramaturg, ging in seiner kurzen Stellungnahme auf seine politische Biografie ein. Er drückte seine Ambivalenz gegenüber den Aktionsformen der Letzten Generation aus und bezog sich dabei auf seine eigene Arbeit als Theaterautor, vor allem als Verfasser des Stücks „Volksfeind for Future“, das in Düsseldorf aufgeführt wurde. Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger, ebenfalls eingeladene Referentin, berichtete unter anderem über ihre Erfahrungen als parlamentarische Beobachterin bei den Protesten gegen den weiteren Kohleabbau in Lützerath. In der anschließenden Diskussion ging es dabei auch um die Rolle der Grünen als Regierungspartei in NRW, die verantwortlich die Vereinbarung mit dem Konzern RWE zum vorgezogenen Kohleausstieg – allerdings auf Kosten des Dorfes Lützerath – verhandelt hatte. Hier kam auch die Besetzung des Parteibüros der Grünen in Düsseldorf durch Klimaaktivist:innen zur Sprache.