Die kriegsbedingte Störung der Getreide- und Düngerexporte aus der Ukraine hat verheerende Folgen. Die Ernährungslage von Hunderten von Millionen Menschen insbesondere in Afrikanischen Ländern wird immer angespannter. Das Resümee der Diskussion des 40. Grünen Salons Bielefeld lautet: Die Sicherstellung der Getreideeinfuhren ist zwar kurzfristig für das Überleben der Menschen zwingend notwendig, aber sie ist nicht die Lösung der Welternährungskrise. Langfristig brauchen wir durchgreifende Änderungen in den Welthandelsstrukturen und eine andere Landwirtschafts- und Ernährungspolitik der betroffenen Länder.
Mit dem 40. Grünen Salon Bielefeld wird eine Themenreihe begonnen, die sich mit der „Zeitenwende“ und ihren konkreten Auswirkungen auf verschiedene Politikfelder beschäftigt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat dazu geführt, dass „wir in einer anderen Welt aufgewacht“ sind, wie Annalena Baerbock es formulierte.
In drei Blitzlichern wurden durch Mitglieder des Trägerkreises Herausforderungen der „Zeitenwende“ formuliert. Uwe Günther sieht in dem permanenten Krisenbewältigungsmodus der Regierungen die Gefahr einer schleichenden Delegitimation der Demokratie. Dagegen helfe nur eine „Politisierungsstrategie“, die aus „Zuschauern“ Beteiligte macht. Jürgen Feldhoff drückte die Sorge aus, dass die Europäische Friedenspolitik durch eine neue Eiszeit der Blockkonfrontation abgelöst wird. Die negativen Folgen haben nicht nur Russland und seine Zivilgesellschaft zu tragen, sondern die europäischen Völker und Kulturen insgesamt. Und Ulrich Burmeister wies auf die Notwendigkeit hin, Energiepolitik neu zu justieren. Das - zumeist russische - Gas war für die nächsten 20 bis 30 Jahre als Übergangsenergie vom fossilen Zeitalter zu 100% Erneuerbare vorgesehen. Zukünftig brauchen wir andere Sicherungen gegen die „Dunkelflaute“.
Als Einleitung zum Schwerpunktthema Welternährung gab Georg Krämer vom Welthaus Bielefeld einen Überblick über die aktuelle Entwicklung der Welternährungskrise. Er wiest darauf hin, dass sich schon vor dem Ukraine-Krieg weltweit die Getreideexporte durch die Energiepreisentwicklung verteuert haben. Ca. 45 Länder sind auf Getreideimporte zur Ernährung ihrer Bevölkerung angewiesen. Nach dem Beginn der Blockaden ukrainischer Häfen sei die die Zahl der Hungernden weiter nach oben geschnellt.
Bemerkenswert sei, dass über 60% der Hungernden in Ländern lebten, die in Konflikte ( z. B. Bürgerkriege) verstrickt seien. Zu den strukturellen Ursachen, die zu einer Verstetigung und Verschärfung der Hungerkatastrophen beitrügen, gehörten die unterdurchschnittliche Produktivität der Landwirtschaft in afrikanischen Ländern und die hohen Verluste schon bei der Ernte, Lagerung und Transport des Getreides.
Weitere strukturelle Ursachen verschärften die Hungerkrise. Zu nennen sind hier die Anbaubedingungen, die sich durch den Klimawandel verschlechtern.
Nicht zu vergessen sind auch die Ernährungsgewohnheiten wie der kontinuierlich steigende Fleischkonsum. Für Deutschland wird geschätzt, dass 65 % der Feldfrüchte als Tierfutter eingesetzt werden und nur 25 % unmittelbar in den Ernährungskreislauf gehen.
Georg Krämer wies darauf hin, dass jeder zehnte Mensch auf der Erde von Hunger betroffen ist. Gleichzeitig leidet eine gleich große Gruppe an extremer Fettleibigkeit (Adipositas), die nicht als Gegenteil des Hungers, sondern als eine besondere Form der Fehlernährung mit massiven gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Folgen einzuschätzen ist. Dies gilt weltweit, aber tragischerweise auch in den von Hunger betroffenen Ländern des Südens.
Zusammenfassend stellte Georg Krämer folgende Forderungen auf:
- Selbstversorgung statt Importabhängigkeit
- Angepasste Sorten statt Importgetreide
- Ökologisierung der landwirtschaftlichen Großbetriebe
- Intensivierung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft
- „Food First“ statt Vernachlässigung der Landwirtschaft
- Produktion für die menschliche Ernährung statt Futtermittel („Teller statt Trog“)
- Nachhaltige Ernährungsweisen weltweit
Ulrike Mann, die dem grünen Salon aus Monrovia in Liberia zu geschaltet ist, gibt einen Länderbericht zum Thema Ernährungskrise. Haupttreiber ist ihrer Meinung nach die Exportorientierung in der Lebensmittelwirtschaft, die sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts als Wirtschaftsmodell in vielen Ländern Afrikas durchgesetzt habe. Der Import von Reis, dem Haupternährungsmittel, betrug 1945 in Liberia 0 %. Heute wird dieses Grundnahrungsmittel zu 95 % importiert, zum allergrößten Teil aus Indien. Gleichzeitig stieg die Einwohnerzahl in der Hauptstadt Monrovia von 15.000 auf über 1,5 Millionen Menschen.
Aktuell hat sich der Preis für Reis mehr als verdoppelt, wobei die Ursachen vielschichtig sind.
Zur Bewältigung der Krise sieht Ulrike folgende Ansatzpunkte:
- Überwindung einer sehr einseitigen Ernährungsweise
- der Landflucht und Aufwertung der Landwirtschaft.
- Verbesserung der Infrastruktur
- Umweltschutz und Ernährung.
Das Handout und die Folien mit dem Input von Ulrike Mann und Georg Krämer sind hier zu finden: Handout_Welternährung_Krise
Zeitenwende_Folien