Warum sich Jugendliche kaum für Politik interessieren und was das fehlende Interesse für unsere Gesellschaft bedeuten kann

Kommentar

Es ist fast egal, wen von meinen Freund*innen oder Bekannten ich fragen würde, auf die Frage, wie der deutsche Bundespräsident heißt, wüsste mehr als die Hälfte keine Antwort. Wenn mich die Menschen dann seltsam anschauen und antworten sie wissen es nicht, frage ich mich selbst, ob das vielleicht normal sei, weil diese Unwissenheit bei vielen jungen Menschen auftritt oder ob ich in Kreisen verkehre, wo es niemanden stört, solch eine einfache Frage- es geht ja nur um einen Namen, nicht um Aufgaben und Pflichten- nicht beantworten zu können.

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Man walking in hallway

Mich erstaunt und schockiert diese Ahnungslosigkeit immer wieder, beschränkt sie sich schließlich nicht nur auf diese eine Frage, sondern die gesamte Politiksituation in Deutschland.  

Dann ist plötzlich eine Wahl und alle machen den Wahl-O-Mat. Natürlich, dieser gibt einen schnellen Überblick über die Positionen der verschiedenen Parteien, ob die Wahlversprechen dann auch umgesetzt werden, lässt viele zweifeln. Viele wählen die Partei, die der Wahl-O-Mat als Ergebnis ausgegeben hat, ohne weiter darüber nachzudenken. Die Stimme wird so abgegeben, wie der Wahl-O-Mat sie empfohlen hat und man redet kurz über die Wahl, dann ist Politik kein Thema mehr. Nie wird danach darüber geredet, was die Politiker*innen umsetzen, was sie entscheiden und was diese Entscheidungen für uns bedeuten. 

Vor kurzer Zeit fragte mich eine Freundin, was ich von dem veränderten Infektionsschutzgesetz halten würde, worauf ich ihr antwortete, ich würde es wie ein bestimmter Politiker und der Großteil seiner Partei sehen. Sie lachte und fragte mich, ob ich ernsthaft glauben würde, sie kenne die Meinung des Politikers. Ich, irritiert von ihrer Unwissenheit über die Positionen der Parteien im Bundestag, erwiderte, diese sollte sie kennen. Der Politiker war nämlich kein Unbekannter, sondern das Gesicht seiner Partei, die bei diesem Thema hinter ihm steht. Hier kann man natürlich unterschiedlicher Ansicht sein, ob man nun die Positionen jeder Partei oder jedes Politikers zu jedem Thema kennen muss. Bei dieser Vielfalt würde ich auch widersprechen; dass muss man nicht. Ich denke jedoch, dass es bei einem solch strittigen Thema, wie dem Infektionsschutzgesetz, wichtig ist, zu wissen, was die sechs Parteien im Bundestag sagen, egal, was man von ihren sonstigen Positionen und Ausrichtungen hält. Nur mit diesem Wissen kann ich bei der nächsten Wahl mein Kreuz bewusst setzen, denn oftmals sind auch kleine Haltungen entscheidend für das Gesamtbild einer Partei.  

Dies verdeutlicht, meiner Meinung nach, welche Einstellung viele Jugendliche gegenüber der Politik haben. Manchmal höre ich: Politik interessiert mich nicht, was geht mich Politik an. Oft höre ich: Ich interessiere mich für Politik, aber sie bestimmt nicht mein Leben, ich habe andere Prioritäten, als Nachrichten zu schauen. Viele tun bildungstechnisch nur das, was sie tun müssen, nicht mehr. Wenn die Themen nicht in der Schule behandelt werden, verstehen viele Politik nicht und beschäftigen sich auch nicht selber damit. Dies ist jedoch ein fataler Ansatz. Meine Meinung ist: Politik geht jeden etwas an, denn Politik entscheidet über alle Bereiche unseres Lebens. Egal ob es der Verkehr ist, wie die Preise der Fahrkarten für den ÖPNV, oder die Gehälter für Pflegekräfte, das Bildungssystem, das Klima und der Zustand der Infrastruktur: all dies sind Bereiche, deren Entwicklung wir mit unserer Wahl entscheiden und die direkt mit unserem Leben und unserer Zukunft verbunden sind. Deshalb erstaunt es mich immer wieder, wenn jemand sagt, dass Politik einem egal ist oder man nichts über aktuelle Geschehnisse weiß. Man kann in Frage stellen, ob man den Namen des Bundespräsidenten kennen muss oder das Wissen über die aktuelle politische Situation in Deutschland ausreicht. Aber dazu sage ich: Akteur*innen machen die Politik. Um beim Beispiel des Bundespräsidenten zu bleiben: Er repräsentiert Deutschland, also auch mich, deshalb sollte mir der Name bekannt sein.  

Aber was genau sind Gründe für das Desinteresse bei manchen Menschen? 

Die Gründe für die Ahnungslosigkeit sind vielfältig. Viele verspüren einfach kein großes Interesse an Politik, viele lesen Nachrichten auf Social Media, aber oftmals wird der Hintergrund und der Zusammenhang nicht verstanden. Politik erscheint vielen verwirrend, es gibt viele verschiedene Akteur*innen und Themenbereiche. Zudem erschließt sich einem der Zusammenhang und die Regeln nicht einfach so, man muss sich damit bewusst auseinandersetzen. Dies ist notwendig, wenn man bewusste Entscheidungen treffen will, denn mit dem Kreuz für eine Partei, so klein es erscheinen mag, werden die Richtlinien für die nächsten vier Jahre entschieden und, bestenfalls, in der Wahlperiode umgesetzt. So ist diese kleine Aufgabe eine ganz gewaltige, deshalb muss man sich intensiv politisch bilden und weiterbilden. Es ist zu wenig, auf Social Media einen kurzen Beitrag zu lesen, wo in einigen Zeilen das Wichtigste geschrieben steht, aber keine Hintergründe erklärt werden, die man jedoch kennen sollte. Da muss ich natürlich zugeben, dass sich nicht jeder gleich stark für dieses Thema interessieren kann. Oft ist es auch so, dass einem ein bestimmtes politisches Thema am Herzen liegt, dies ist bei mir auch so. Das ist aber keine Entschuldigung, grundlegende Dinge nicht zu wissen. Denn am Ende muss das große Ganze verstehen werden, das Zusammenspiel von Entscheidungen. Es reicht nicht aus, sich nur über ein Thema zu informieren, denn sie hängen alle zusammen und beeinflussen einander.  

Ein weiterer Grund ist die Enttäuschung über die Politiker*innen. Manche haben den Eindruck: “Diese reden viel, oftmals viel Unsinniges und tun dann in der Verantwortung zu wenig”. Viele Bürger*innen fühlen sich nicht mitgenommen, manche, die aktiv werden, fühlen sich nicht gehört und nicht beachtet. Dennoch: wenn jemand sich beschwert, dass man nicht in die Politik eingebunden wird, kann man sich fragen, woran es liegt. Demonstriert man, wird aktiv und engagiert sich, und bekommt dann den Eindruck, dass das Thema direkt abgesägt wird oder nur leere Worte gesprochen werden, ist der Verdruss verständlich. Aber die Menschen, die sich engagieren, sind zumindest in dem Themenbereich gebildet und informiert. Die Menschen, die sich nicht für Politik interessieren und sich auch nicht engagieren, würde ich gerne fragen, ob es denn allein die Aufgabe der Politiker*innen ist, sie einzubinden? Die Bürger*innen wählen die Partei, deren Positionen sie am ehesten zustimmen würden, und wenn man wissen möchte, inwieweit diese Positionen umgesetzt oder bei Oppositionsparteien wiederholt angesprochen werden, muss man auch in der Zeit zwischen den Wahlen interessiert die Nachrichten verfolgen. In Deutschland leben wir in einer repräsentativen Demokratie, was bedeutet, dass wir die Menschen wählen, die uns vertreten sollen. Wenn sie nicht die Arbeit erledigen, für die ihre Bürger*innen sie gewählt haben oder ein Großteil unzufrieden ist, müssen sich die Bürger*innen von sich aus gegen diese Art von Politik auflehnen, ihre Enttäuschung kundtun. Schließlich sind die Politiker*innen die “Diener*innen des Volkes", ein Volk aber, welches aus mündigen Bürger*innen bestehen sollte. Bürger*innen, die sich ihrer Verantwortung bewusst und dieser gewachsen sind. Außerdem hat jeder die Chance selber in die Politik zu gehen und es besser zu machen.  

Doch auch so kann jeder die Chance wahrnehmen zu demonstrieren, der wohl einfachste Weg, um sich Gehör zu verschaffen, wenn sich eine größere Gruppe zusammentut. Es ist allerdings nur möglich zu demonstrieren und sich zu beschweren, wenn man weiß, was in der Politik geschieht. Erreicht dann die eigene Meinung nicht die Zustimmung der Mehrheit, dann ist das auch zu akzeptieren, das ist die andere Seite der Medaille in einer Demokratie. Die Mehrheit entscheidet, man bekommt nicht immer was man will. Aber: man hat das Recht, darzulegen, weshalb man etwas nicht möchte und Gründe aufzuführen, anhand denen die anderen ihre Meinung überprüfen und gegebenenfalls ändern können. 

Wenn aber viele nicht nachvollziehen können und wollen, was in der Gesellschaft passiert und Geschehnisse nicht einordnen können, sind das Desinteresse und die Unbedarftheit ein Problem für die Gesellschaft. Und zwar aus dem Grund, dass wir in einer repräsentativen Demokratie leben und Politiker*innen wählen, die uns vertreten sollen. 

Demokratie ist ein Wort, welches wir oft benutzen, meistens ohne zu realisieren, was der Sinn dahinter eigentlich bedeutet. Laut wörtlicher Übersetzung bedeutet Demokratie: “Herrschaft des Volkes”. Mittlerweile verwendet man zwar Merkmale, um eine Demokratie zu beschreiben, aber der Sinn der Übersetzung trifft zu. In einer Demokratie ist das Volk- und damit auch jeder einzelne Bürger- das Souverän. Die Bürger*innen sollen Entscheidungen treffen, hier in Deutschland, in einer repräsentativen Demokratie, in Form von Wahlen. Man wählt die Partei, die die eigenen Ansichten am ehesten vertritt. Doch wie kann man wählen, wenn man nichts über Politik weiß? Wenn man sich nicht für Politik interessiert oder anderen Interessen Priorität einräumt? Ist es möglich, zu wählen und sich in seinem Leben nicht mit Politik zu beschäftigen? Auf welcher Grundlage trifft man dann seine Wahl und begründet seine Entscheidung? 

Diese Fragen schwirren mir immer im Kopf herum, wenn ich mit Menschen konfrontiert bin, die keine Ahnung von Politik haben, egal aus welchen Gründen. Ich bin selber keine Expertin für politische Themen, aber ich interessiere mich, informiere mich über Politik und versuche, so viel wie möglich zu lernen und zu verstehen. Und das ist für mich der Anfang, denn ich werde auf lange Sicht immer mehr wissen und kann mich so besser und bewusster einsetzen und meine Pflicht als Bürgerin in einer Demokratie erfüllen. Ich habe das Privileg, zu entscheiden, welche Partei ich wählen möchte und ich sollte dies wertschätzen, genau wie es die anderen Bürger*innen sollten. Außerdem kann ich mich auf vielfältige Art in die Politik einmischen und mich selber für ein politisches Mandat zur Wahl stellen. Um dieses Interesse bei allen Menschen in Deutschland zu erreichen und so eine politische Entscheidungsfähigkeit herzustellen, muss man, meiner Meinung nach, noch einiges tun. Doch diese braucht man, wenn man auf lange Sicht in einer stabilen Demokratie leben möchte, die funktioniert und ihre Bürger*innen vertritt. 

Der ideale Weg sieht daher für mich so aus: Die Bürger*innen kennen die Grundzüge des politischen Systems und informieren sich über das aktuelle Geschehen. Der Unterricht in der Schule oder politische Weiterbildungen helfen allen, mehr über die Grundlagen zu lernen, sodass auch die Nachrichten verstanden und eingeordnet werden können. Zudem sollte der Unterricht die Schüler*innen dazu bringen, Begeisterung für Politik und die eigene Demokratie zu entwickeln. In erster Linie geht es darum, dass die Schüler*innen aktiv werden und sich freiwillig über die aktuelle Politik informieren. So wächst das eigene Wissen an und die Menschen sind in der Lage, die Zusammenhänge zu durchblicken und sich von sich aus zu engagieren. Und dieses Wissen und Engagement zieht sich durch das folgende Leben, sodass man ein Leben lang politisch interessiert und gebildet bleibt und so die Gesellschaft bewusst mitgestalten kann. Denn dies geht nur, wenn man weiß, worüber debattiert wird und die Bedeutung des Themas versteht. 

Politikverdrossenheit und Desinteresse können daher keine Option sein: Eine Demokratie braucht die Beteiligung der Bevölkerung, davon lebt sie. Wenn wir also das nächste Mal voller Stolz erwähnen, dass wir in einer Demokratie leben, sollten wir uns bewusst sein, was dies für uns bedeutet: Wir tragen die Verantwortung, dass unsere Demokratie lebt und besteht. Eine Verantwortung, auch darauf zu achten, dass die Politiker*innen ihre Pflicht, dem Volk zu dienen, ernst nehmen und unser Land stetig verbessern und unsere Wünsche und Forderungen durchsetzen. Das ist unsere Aufgabe als Bürger*innen in einer Demokratie und der sollten wir entgegentreten. Und das geht nur, wenn wir politisch gebildet sind, was wir nur mit politischem Interesse erreichen können.