Am 14. Juni 2020 lud der Trägerkreis der Heinrich-Böll-Stiftung in Bielefeld zu einem Gespräch über Chinas Engagement in Duisburg und in Europa ein. Die Stimmung war während der Online-Diskussion durchweg sehr gut. Das Telefon von Nora Sausmikat klingelte noch lange, so interessiert waren die Zuhörer an den Ausführungen. Die Online-Diskussion hat ganz klar das China-interessierte Publikum angesprochen und erreicht - hier eine Zusammenfassung.
Seit 2012 rollt der Zug innnerhalb von 12 Tagen von China über Zentralasien nach Duisburg. In den ersten Jahren kamen Computerteile aus Shenzhen und andere Konsumgüter, aber die Züge fuhren komplett leer zurück. Erst neuerdings liefern sie Autoteile, Wein, Kosmetika, und andere Luxusgüter nach China. China baut also in der strukturgebeutelten Ruhrmetropole einen Brückenkopf in Westeuropa.
Die Eisenbahnlinie ist nur ein Puzzleteil eines weltumspannenden Handelsnetzwerks. Die Belt and Road Initiative (nostalgisch verklärt als neue Seidenstraße(n)) soll Europa und die ganze Welt an Asien und besonders China binden. Konnektivität heißt das Zauberwort. Chinesische Arbeiter und chinesische Staatsunternehmen bauen in Europa und auf der ganzen Welt Straßen, Häfen, Wirtschaftskorridore, Rohstoffausbeutung, Sonderwirtschaftszonen etc. Trotzdem: Die Schauplätze bleiben dynamisch, es gibt keine Blaupause. Dabei hat ein armes Land wie Laos sicher weniger Kapazität, seine Forderung gegenüber China durchzusetzen als die Bundesrepublik Deutschland. So hat Laos ganze Ländereien im Norden von Laos für 90 Jahre an China verpachtet.
Wir fragten mit unseren Referent*innen: Warum ist Chinas Belt and Road Initiative überhaupt attraktiv für die Smart City Duisburg, eine Stadt in einem schwierigen Strukturwandel, warum für viele andere europäische Länder? Welche Auswirkungen hat der wirtschaftliche Aufstieg Chinas auf die Lage der Menschenrechte, den globalen Naturhaushalt und die betroffenen Volkswirtschaften? Wie halten chinesische Unternehmen es mit der Sorgfaltspflicht? Wie arbeiten osteuropäische Regierungen mit China zusammen? Was passiert, wenn ein Projekt nicht aufgeht oder besonders umstritten ist?
Am 14. Juni 2020 moderierten Alexander Horstmann und Sebastian Stölting den 35. Grünen Salon Bielefeld für den Trägerkreis der Heinrich Böll Stiftung NRW unter dem Titel "Autoritär und effizient: Chinas Engagement in der Ruhrmetropole Duisburg und in Europa". Normalerweise findet der Grüne Salon in der Ravensberger Spinnerei statt. Aus gegebenem Anlass haben wir das Format der Online-Diskussion eingeschlagen. Als Gäste durften wir die China-Expert*innen Nora Sausmikat von urgewald e.V. und Senior Professor Thomas Heberer von der Universität Duisburg-Essen begrüßen.
Den Beginn der Veranstaltung machte Nora Sausmikat. Sausmikat fasste für uns die Grundzüge der neuen Seidenstraßen zusammen und erklärte die Folgen für Umwelt und Lebensräume. Gefragt wurde z.B. ob China die Sorgfaltspflicht beachtet. Sausmikat hat z.B. einen Vortrag für das EU-Parlament über Handelsschiedsgerichte gehalten. Wie gehen Kommunen wie Duisburg oder Düsseldorf mit Bedenken im Bereich der Umwelt und Menschenrechte mit China um? Wieviel Autonomie haben sie dafür? Welche Stimmen haben Zivilgesellschaften bei der Planung und Durchführung der Entwicklungs- bzw. Wirtschaftsprojekte?
Diese Fragen wurden z.T. auch kontrovers diskutiert und es wurden Fragen aus dem Publikum aufgenommen. Die Teilnehmenden wurden ermutigt, ihre Fragen selbst zu stellen.
Wie denkt China? Chinas wirtschaftspolitisches Handeln verstehen
Thomas Heberer ging mit seinem ersten Referat auf die Logik und Funktionalität des Handelns des chinesischen Staates ein. China strebt gemäß Heberer bis 2035 an, zur weltweit größten Wirtschafts- und Führungsmacht der Welt aufzusteigen. Schon jetzt ist China zweitgrößte Wirtschaftsmacht, und konkurriert scharf mit den USA. Heberer bezeichnet China als einen Entwicklungsstaat: Ein solcher Staat verfüge über die Kapazität, seine Forderungen durchzusetzen- zur Not sogar mit Gewalt. Der ehrgeizige Entwicklungsprozess verläuft erfolgreich und effektiv, was sich an Chinas erstaunlicher Wirtschaftsentwicklung ablesen lässt. Entwicklungsstaaten investieren massiv in die Forschung zu Hochtechnologien. Sie sind zumeist autoritäre Staaten, die ihre Ansprüche gegen jedweden Widerstand durchsetzen und repressiv gegen Opponentinnen oder Opposition des Modernisierungskurses vorgehen.
Nach Meinung der politischen Führung in China erfordert die Erreichung des angestrebten Modernisierungsziels auch einen Disziplinierungsprozess nicht nur der Parteifunktionäre, sondern auch der Sozialdisziplinierung der gesamten Bevölkerung.
China möchte also nicht nur wirtschaftlich, sondern auch moralisch ein Vorbild für Entwicklung und Modernisierung in der Welt sein. Nach Heberer beeinflusst dieses Denken die Ära des Präsidenten Xi Jinping und das Verhalten Chinas gegenüber seinen Partnerländern.
Nora Sausmikat betont, dass die One Belt One Road (BRI) keine kohärente, durchgeplante Blaupause ist, sondern ein weltumspannendes Handelsnetzwerk, das die Wirtschaft Chinas mit den dringend benötigten Rohstoffen versorgen soll und gleichzeitig den wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Einfluss Chinas in der Welt mehrt und Anschluss an Hochtechnologien herstellt. Sausmikat betont, dass Vereinbarungen in der Form von Verträgen in der Form von Memorandum of Understanding weniger entscheidend sind als Wirtschaftsakteure und Bürokratie. BRI ist ein Sammelsurium von Entwicklungsprojekten geformt von Interessengruppen, Staats- und Wirtschaftseliten im In- und Ausland. Trotzdem handelt es sich um gewaltige Investitionen, die von der Asiatischen Entwicklungsbank verzinst zur Verfügung gestellt werden. Bereits 90 Milliarden US $ sind bisher für Entwicklungsprojekte ausgegeben worden; Geplant sind Ausgaben von schwindelerregenden 1 Billion US $. Diese Investitionen verdecken aber die Tatsache, dass gewaltige Schuldenberge angehäuft werden, welche auch wegen der Covid-19 Krise nicht bedient werden können.
Nach Hoering “Der lange Marsch 2.0” stellt BRI einen Versuch dar, über die Verwendung der enormen Devisenreserven das schwächelnde Wirtschaftswachstum anzukurbeln und Überproduktion auszugleichen. Es handelt sich also um die unvermeidbare Expansion des Staatskapitalismus, angetrieben von Verwertungs- und Akkumulationszwang und dem Streben nach geoökonomischer Hegemonie. Ein weiteres Narrativ stellt geopolitische Intentionen und die Sicherheit internationaler Versorgungswege heraus. In der westlichen Welt wird die Entstehung von abhängigen, hochverschuldeten Vasallenstaaten befürchtet, sowie der wachsende Einfluss etwa in Osteuropa, Polen, Serbien und Ungarn, aber auch in Italien.
Es wird argumentiert, dass sich besonders autoritäre Staaten und Eliten für aufwendige und teure Entwicklungsprojekte Chinas interessieren, weil sie sich davon einen Schub in der Weiterentwicklung und Integration ihrer Wirtschaftsleistung erhoffen, und gleichzeitig die Effizienz Chinas schätzen, die nach Besorgnis einiger westeuropäischer Länder in der EU viel weniger Auflagen für Umwelt und Menschenrechte beinhalten und dadurch für autoritäre, undemokratische Staats- und Wirtschaftseliten attraktiv erscheinen.
Das betrifft insbesondere auch Länder in Asien, Südamerika und Afrika, die zudem von der großzügigen, aber verzinsten, Finanzierung Chinas profitieren. Rasant spannt sich das chinesische Netz um die ganze Welt und versorgt insbesondere auch arme Länder wie Kambodscha oder Bangladesch mit ganzen Städten und Sonderwirtschaftszonen vom Reißbrett. Dabei werden dominante Staats- und Wirtschaftseliten in den betroffenen Ländern gestärkt, aber ethnische und religiöse Minderheiten in ihren Lebensräumen bedroht. Besonders besorgniserregend erscheint die geringe Aufmerksamkeit für Umweltauflagen: Sausmikat betont, dass 75% der BRI Mittel in fossile Energieausbeutung geht, von der Ausbeutung der Kohlereserven in Xinjiang zu der neuen Eröffnung von gewaltigen Kohlebergwerken in Bangladesch.
Nach Sausmikat bezahlt China für 30 Jahre High Speed Wachstum einen hohen Preis. Die Hauptflüsse sind bis zu 21% von Müll und industriellen Giftstoffen kontaminiert, zwei Drittel aller Seen sind hochgradig verschmutzt. In den Großstädten führt die Luftverschmutzung zu Krankheiten der Atemwege. Trotzdem argumentiert Heberer, dass Chinas Einfluss nicht mehr wegzudenken ist, und BRI ein fester Bestandteil der geo- und ordnungspolitischen Vision Chinas als Weltführungsmacht geworden ist. Dabei schwingt sich China auf, nicht nur seine Unternehmen und Arbeiter in der ganzen Welt einzusetzen, sondern auch sein Entwicklungsmodell zur Richtschnur wirtschaftlichen Handelns zu erheben.
Aber BRI ist auch innerhalb Chinas und seiner Partnerländer keineswegs unumstritten: In China selbst gibt es zahlreiche Widerstände gegen die rücksichtslose Ausbeutung der Umwelt und Disziplinierung der Menschen. Auch in den betroffenen Ländern wächst die Sorge vor der wirtschaftlichen und politischen Unterwerfung vor Chinas Staatskapitalismus: In Sri Lanka musste der bankrotte Staat den von China aus dem Nichts erschaffenen Hafen ganz an China abgeben, weil Sri Lanka die Kredite nicht mehr bedienen konnte. Heberer ging dann ausführlicher auf das Engagement Chinas in Duisburg und in NRW ein.
Bedeutung Chinas für Duisburg und NRW
Duisburg erlebt aufgrund absteigender Wirtschaftszweige einen schwierigen Strukturwandel: Es versucht, sich strategisch als Drehscheibe der Ruhrregion zu positionieren. Deshalb hat sich die Kommune früh der chinesischen Wirtschaft gegenüber geöffnet: Duisburg möchte nach Auskunft des hiesigen Bürgermeisters gern die Chinastadt in Deutschland werden. Zurzeit fahren täglich 50 Züge aus verschiedenen Städten Chinas in den größten Binnenhafen der Welt ein und werden per Bahn und Schiff an verschiedene europäische Seehäfen weitergeleitet. Laut Duisburg seien 17.000 Arbeitsplätze dadurch entstanden. Im Rahmen jährlicher Besuche in China versucht Duisburg, die Stadt als Investitionsstandort bekannt zu machen. Allein an der Universität Duisburg-Essen, an der Heberer wirkt, sind 2000 Studierende aus China eingeschrieben, nicht zuletzt wegen des Bekanntheitsgrads von Duisburg in China, der durch den Besuch des Präsidenten Xi genährt wurde.
Kein anderes Bundesland importiert mehr Waren und Dienstleistungen aus China als NRW. 2018 gingen ¼ aller Importe aus China in die BRD nach NRW (28,1 Mrd. Euro), die Exporte von NRW nach China summierten sich auf 11.8 Mrd. Euro. 1.100 der in der BRD ansässigen chinesischen Unternehmen befinden sich in NRW, 500 allein in Düsseldorf. NRW pflegt 2019 20 Städtepartnerschaften mit China, 40 Schulpartnerschaften und über 200 Hochschulkooperationen.
Die Diskussion konzentrierte sich stark auf den Umgang mit einem autoritären Wirtschafts- und Entwicklungsmodell, das zumeist ohne die Stimmen der Zivilgesellschaft über die Bühne gebracht werden. Heberer betont die Bedeutung des chinesisch-amerikanischen Konflikts um die Vorherrschaft in der Welt. Trump hat den Handelskonflikt mit China eskaliert, Strafzölle auf chinesische Güter gelegt und Covid-19 als "chinesischen Virus" bezeichnet, den China in die Welt und in die USA eingeschleppt hätte, was auch rassistisch motivierte Gewalttaten gegen chinesisch stämmige Amerikaner zur Folge hatte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel formulierte, dass China – anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft – ein wichtiges Interessenfeld der EU sein sollte. Es gehe darum, zu erkennen, „mit welcher Entschlossenheit China einen Platz in der internationalen Struktur beansprucht”. Merkel sprach sich für eine Strategie der “Umarmung” aus. Statt der Betonung der Menschenrechtsverletzungen in China gegen demokratische Opposition oder Hinweis auf die massenhafte Internierung der Uiguren in Xinjiang sucht Merkel den Schulterschluss mit China. Durch Beteiligung an der Asiatischen Entwicklungsbank versucht Deutschland, auf China Einfluss auszuüben und China zu einer internationalen Koordination der Entwicklungshilfe etwa in Afrika zu bewegen. Es wurde kontrovers diskutiert, ob eine solche Umarmungsstrategie angesichts der autoritär ausgerichteten Außenwirtschaftspolitik haltbar ist. Heberer betonte, dass es wichtig wäre, in einem konstruktiven Gespräch zu bleiben. Sausmikat leitete die zivilgesellschaftliche Kooperation zwischen Europa und China für die Asienstiftung e.V. und betonte, dass die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren in China Priorität hätten.
Ein wichtiges Ziel der europäischen Chinapolitik ist das geplante EU-China Investitionsabkommen, das gleichwertigen Marktzugang für europäische Unternehmen, gleichberechtigten Zugang zu öffentlicher Beschaffung, Schutz geistigen Eigentums, Abschaffung des erzwungenen Technologietransfers sowie besseren Rechtsschutz für EU-Unternehmen vorsieht.
In NRW stellt sich z.B. die Frage nach der Beteiligung des Staatsunternehmens Huawei für die Hochtechnologie 5G Netzwerk und die Sorge um Überwachung.
Sausmikat weist darauf hin, dass die Sorge nach Überwachung von Chinesen im Ausland nicht unberechtigt ist. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob China nicht affin zu autoritären Entwicklungsstaaten in der ganzen Welt ist, und ob nicht autoritär-geführte Länder wie Thailand, Kambodscha oder Laos nach China schauen, und sich die Überwachungstechnologien im Netz aneignen. Auf diese Weise könnte China einen ähnlichen politischen Einfluss in Süd- und in Südostasien ausüben, wie die USA vormals in Südamerika.
Deutschland scheint bereit, mit einem Auge auf Wettbewerbsvorteile, die Frage der Menschenrechte und der auch nach Deutschland geflohenen Uiguren auszublenden. Wenn etwa Deutschland aus Gründen des Datenschutzes Vorbehalte äußert, geht China nach Rotterdam, und nicht nach Duisburg. In Griechenland wird Piräus zu einem zentralen Umschlagplatz für chinesische Container.
Der Export schmutziger Industrien in arme Länder des globalen Südens und der nach wie vor bestehende Schwerpunkt auf fossilen Energieträgern belastet das Verhältnis zu China. Aber für viele Länder gibt es kaum eine Alternative. Viele Länder sind aus der Weltwirtschaft ausgeklinkt und sind nicht interessant genug für die EU und die USA. Autoritäre Machthaber in armen Ländern wie Laos oder Myanmar schauen mit Neid auf den Wohlstand von Chinas Vorzeigestädten wie Shanghai. Sie werden durch den wachsenden Einfluss Chinas n ihre Wirtschaft innenpolitisch in ihrer Machtposition gestärkt.
In NRW sind die Eingriffe auf die Lebensräume der Menschen natürlich weniger massiv als in Myanmar oder Ecuador. China interessiert sich wenig für das Schicksal indigener Völker. Deutschland sieht zu, wie China zu Hause wie auch in Hongkong immer repressiver wird.
In China selbst geht die Angst um, da sich z.B. Akademiker*innen immer wieder vor den Staatsorganen für ihr Tun rechtfertigen müssen und zeigen müssen, wie sie durch ihr Tun zu der harmonischen Diktatur beitragen und wie sehr sie ihren Präsidenten und die kommunistische Partei verehren. Opponent*innen werden gequält, isoliert und müssen in erzwungenen Fernsehgeständnissen ihre Fehler einräumen. Die Welt sieht zu, wie Uigurische Zwangsarbeiter für deutsche Firmen wie Adidas oder Siemens schuften.