Böll befragt... Andreas Knie (4|20)

Interview

Prof. Dr. Andreas Knie ist Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung am Wissenschaftzentrum Berlin für Sozialforschung. 

Das Bild zeigt Andreas Knie vor einem Gebäude.
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Wie steht es um die Zukunft der städtischen Mobilität? Prof. Dr. Andreas Knie im Interview

Lieber Herr Knie, als Wissenschaftler beschäftigen Sie sich mit städtischer Bewegung und engagieren sich für ein Umdenken unseres Verkehrs. Häufig fällt dabei der Begriff zukunftsgerechte Mobilität. Was ist damit gemeint?

Zunächst müssen wir uns bewusst werden, dass Mobilität ein hohes Gut ist und für eine demokratische Gesellschaft nahezu elementar und lebenswichtig. Zukunftsgerecht bedeutet in diesem Kontext, dass wir dieses Gut nicht nur in der aktuellen Situation, sondern insbesondere mit Blick auf unsere Ressourcenprobleme intelligenter und nachhaltiger anlegen.  Lösen wir uns von den Fesseln der Vergangenheit, der Idee, dass Zukunft bedeutet, sich mit einem eigenen, privaten Auto fortzubewegen. Die große Herausforderung ist es nun einen Weg zu finden, wie wir uns Beweglichkeit ohne diese Vielzahl an Privatautos dauerhaft erlauben können.

Stand heute bedeutet die Beweglichkeit mit dem eigenen Auto für viele Gesellschaftsgruppen immer noch eine Unabhängigkeit, die den Alltag lebenswert macht. Wie lässt sich dieser Lebenswert – aktuell manifestiert im eigenen Auto – in eine zukunftsorientierte Stadtmobilität einbauen?

Um diesen Wert des eigenen Autos zu verstehen, hole ich etwas aus: Im Grunde ist es nur das Vehikel zum vergangenen „guten Traum des Lebens“. Dieser lautete: Mein eigenes Haus, mein eigener Garten, meine eigene Integrität. Städte entwickelten sich weg von der klassischen, verdichteten Stadt zu Transiträumen, wo Arbeiten, Wohnen und Vergnügen möglichst weit auseinander gezogen wurden. Und das war nur mit einem Verkehrsmittel gut zu machen: Mit dem Auto. Heute merken wir, dass das nicht mehr zeitgemäß ist. Die starke Vernetzung, das Internet oder der demographische Wandel sind nur einige Anzeichen dafür, dass der Wunsch, die Stadt wieder kompakter zu gestalten, sehr präsent ist. Auch gilt es, das städtische Umland wiederzubeleben und ländliche Wohngegenden attraktiver, funktionaler zu gestalten, sodass man nicht für jede Besorgung in die nächste Großstadt fahren muss oder online bestellt. Der Lebenswert lässt sich auch ohne eigenes Auto erhalten, wenn wir gleichzeitig eine gewisse Ambiguitätstoleranz aufbauen.

In Zeiten der digitalen Plattformen ist das Verkehrsmittel der Zukunft  dann nicht mehr der private Besitztum, sondern der Zugang zu den vielen Möglichkeiten der Fortbewegung. Wenn wir das umsetzen und beherzigen, werden wir uns mit weniger Geräten effizienter bewegen können.

Ein konkretes Szenario. Andere gehen noch weiter und fordern komplette Autofreiheit in den Städten. Sehen Sie hierfür aktuell Umsetzungsmöglichkeiten?

Komplett autofrei wird städtische Mobilität nie sein. Sie kann aber frei von privaten Autos werden. Möglichkeiten sehe ich: Zum einen durch die breite geteilte Einsicht, dass es mit dem alten Modell nicht geht. Übrigens auch von Autoliebhaber*innen, die vermehrt merken, dass sie häufig im Stau stehen und ihr Fahrzeug nicht abstellen können. Dann verfügen wir schon heute über sich stetig entwickelnde Optionen der Kommunikation und Dienstleistung. Digitale Plattformen bieten eine enorme Bereicherung für die Umsetzung der Verkehrswende. Schließlich beobachten wir eine Art Säkularisierung des Autos: Immer weniger Menschen nutzen ihr Fahrzeug als Identitätsmerkmal, sodass wir uns auch hier immer weiter weg von der emotionalen Bindung zum Blech bewegen.

Das alles wären genug Gelegenheiten viele Dinge zu verändern. Was wir aber sehen ist, dass alle beteiligten Player, die die Regeln , wie man sich im öffentlichen Raum bewegt, bestimmen, sich noch in der eingefrorenen Vergangenheit der autofreundlichen Stadt befinden.  An oberster Stelle stehen Stabilität, Verlässlichkeit, Sicherheit, die besonders in der aktuellen Situation natürlich deutlich wichtiger gedacht werden als neue Optionen.  

Wen sehen sie denn dann in der Verantwortung für einen Umbruch? Sind es die Stadtplaner*innen, Kommunalpolitiker*innen, die Zivilgesellschaft?

Tja, das ist leider das Problem, dass wir nicht wirklich die „einen“ Verantwortlichen haben. Die Planer*innen können aus ihrem Korsett nicht raus, weil sie gefangen sind in einer strengen Provisionskultur. Das herrschende Wissen und die Technik differenzieren klar, was für Sicherheit sorgt und was nicht. Das funktioniert wunderbar in stabilen Zeiten, ist aber hinderlich, wenn man etwas Neues ausprobieren möchte. Abgesehen davon lässt sich auch nicht leugnen, dass es viele Unternehmungen gibt, die ein wirtschaftliches Interesse am Status Quo haben: Sei es die Baukultur, die Autoindustrie, ja sogar der öffentliche Verkehr, der potenzieller Gewinner einer Verkehrswende wäre, prescht nicht nach vorne. Es gibt zu viele Interessen, die vom herrschenden Zustand profitieren.

Die meiste Politik ist in Bezug auf Verkehr mutlos, auch auf kommunaler Ebene. Um die Verkehrswende voran zu bringen, braucht es deswegen im öffentlichen Diskurs vor allem eins: Mehr kritische Wissenschaft. Denn, ganz selbstkritisch gesprochen, auch die Wissenschaft versteckt sich hinter ihren peer-to-peer Artikeln in ihrer akademischen Blase. Das müssen wir ändern. Die Frage der Verkehrswende, der neuen Mobilität, ist eine Gemeinschaftsarbeit, die von Vielen angegangen werden muss. Tatsächlich sind die größten Hoffnungsträger*innen aktuell die Jugendlichen, die offen aussprechen, wie groß die Notwendigkeit ist, jetzt etwas zu tun.

Einige sprechen sogar von der Notwendigkeit einer Mobilitätsrevolution.

Ich sage immer Mobilität ist etwas, das im Kopf anfängt und Verkehr das, was auf der Straße stattfindet. Verkehrswende heißt aber nicht einfach, dass man vom Verbrenner aufs E-Auto umsteigt. Eine Verkehrswende ist nur machbar in einer sich öffnenden und neu organisierenden Gesellschaft.

Stichwort offene Gesellschaft: Wie inklusiv wird Verkehrswende im aktuellen Diskurs gedacht? Mit Blick auf die demographische Herausforderung, die auf uns zukommt, wird Barrierefreiheit für einen immer größeren Teil der Gesellschaft essenziell. Ist Inklusion ein ausreichender Bestandteil der Verkehrswendediskussion?

Ganz klar nein. Behindertengerechtigkeit kommt im öffentlichen Straßenraum nahezu nicht vor. Ich wohne hier in Berlin an einer Großstraße, an einem großen U-Bahnhof, bei dem es immer noch keinen Aufzug gibt. Barrierefreiheit ist im öffentlichen Raum auch im Jahr 2020 noch lange keine Selbstverständlichkeit. Auch die Sichtbarkeit dieser Debatte ist ähnlich wie die Diskussion des demographischen Wandels nicht ausreichend präsent.

Das Problem wird immer häufiger erkennbar, wenn wir mit älteren Menschen sprechen. Bis vor kurzem konnten sie alles mit dem eigenen Auto erledigen, doch nun wollen oder können sie es nicht mehr, fühlen sich nicht sicher. Welche Alternative bleibt? Familie und Freunde können einspringen, sind aber auf Dauer auch nicht die endgültige Lösung. Mit Blick auf die aktuelle, für Viele unbequeme Struktur des ÖPNV wird auch deutlich, dass wir noch keine ausreichen Lösung für das Mobilitätsproblem haben. Alternativen könnten zum Beispiel autonome Shuttle sein, die über eine App niederschwellig bestellt werden. Auch hier wird der Grundstein unserer Arbeit sichtbar: Stetig die Idee weiterzuentwickeln, wie man sich ohne eigenes Auto besser bewegen kann.

Vielen Dank für das Gespräch.