13. Grüner Salon Soest: "Einsamkeit"

Veranstaltungsbericht

Am 28. Oktober 2022 fand der 13. Grüne Salon Soest statt. Das Thema lautete „Einsamkeit - Notwendiger Teil der menschlichen Existenz und gesellschaftliches Problem“.

Zu sehen ist Johann Hinrich Claussen

Nach der Begrüßung führte Prof. Dr. Johann Hinrich Claussen entlang der Überlegungen, die er in seinem mit Ulrich Lilie verfassten Buches „Für sich sein“* entwickelt hat, ausführlich in das Thema ein. Den zweiten Teil nutzten die Besucher:innen für Resonanzen, Nachfragen, Stellungnahmen, Ergänzungen, Diskussionsbeiträge. Nach dem offiziellen Ende gab es Gelegenheit zum Nachgespräch, das von vielen Teilnehmer:innen gern angenommen wurde.

Der Referent stellt eingangs heraus, dass jede/jeder Einsamkeit für sich selbst erfährt und bei jedem/jeder sich diese anders als bei anderen zeigt. Weniger die Zahl von Kontakten und Menschen bewirkt, ob sich jemand einsam fühlt, sondern entscheidend ist vielmehr die Qualität der Beziehungen.

Anhand historischer Situationen und einzelner menschlicher Schicksale verdeutlichte der Referent, dass Einsamkeit kein historisch neues Phänomen ist - die Corona-Pandemie hat möglicherweise das bestehende Problem von Einsamkeit nur neu sichtbar gemacht -  und nicht auf das Alter beschränkt ist. Einsamkeit ist zu einem großen Thema einer Gesellschaft geworden, die verarmt: an Begegnungen, an Umarmungen, an freundlichen Worten zwischen Tür und Angel.
Besonders in „Schwellen- und Übergangssituationen“ ist es wichtig, Personen zu finden, denen man vertrauen und mit denen man reden kann. Das betrifft vor allem zwei Lebensphasen, die besonders von Einsamkeitsgefühlen geprägt sind: Das junge Erwachsenenalter, von 18 bis 30 Jahren, weil dort viele Umbrüche passieren, und das hohe Lebensalter. Es gibt besonders gefährdete Gruppen: wie Menschen mit Handicaps, ältere alleinstehende Frauen, von  Armut und Arbeitslosigkeit bedrohte Personen.

Solange die jeweiligen Phasen und Situationen selbst gestaltet werden können und diese - wenn von einem selbst gewünscht - beendet werden können, stellt das Allein-Sein kein Problem dar. Erst wenn es eine wahrgenommene Diskrepanz gibt zwischen den sozialen Beziehungen, die man sich wünscht, und den sozialen Beziehungen, die man hat, kann das Allein-Sein zum Problem werden.
Individuell kommt es darauf an, wieder Mut zu fassen, um Kontakt aufzunehmen, Vertrauen wieder aufzubauen.
Einsamkeit ist stark tabuisiert und mit Scham belegt. Niemand will zugeben, dass - wenn denn die Situation so ist - er oder sie einsam ist. Daher ist die Thematisierung von Einsamkeit schon für sich selbst wichtig.

Das Beiläufige ist wichtig: die alltägliche Begegnung beim Bäcker, in der Änderungsschneiderei, beim Friseur, im Zeitungshandel, mit dem Briefträger. Wenn solche Begegnungsmöglichkeiten wegfallen, wird der soziale Kontakt umso ärmer.
Freundlich im Alltag und aufmerksam im Umgang miteinander zu sein, ist eine Grundlage, um nicht zu vereinsamen. Aber es sind auch Infrastrukturmaßnahmen wichtig, die Begegnung und Austausch leichter ermöglichen. Hier haben Quartiersentwicklung und Nachbarschaft ihre herausgehobene Bedeutung. Politisch ist dafür zu sorgen, dass „Kontaktflächen“ bestehen bleiben bzw. geschaffen werden, die einem Begegnung und Austausch leichter ermöglichen. Öffentliche Plätze und kleine Begegnungsorte sind so gestalten, dass alle bedingungslos teilhaben können (Stichwort: Inklusive Platzgestaltung).

Einer nur bürokratischen Lösung durch sog. Einsamkeitsbeauftragte wurde misstraut, auch wenn deutlich gemacht wurde, dass eine nur ehrenamtliche Lösung nicht ausreicht.
Und es kann auch das Überfordert-Sein durch Einsamkeit mit körperlichen und psychischen Krankheitsfolgen geben. In Momenten der Verzweiflung wieder zu sich selbst finden, ist dann vonnöten. Dazu kann auch Seelsorge einen wichtigen Beitrag leisten.
 

*Johann Hinrich Claussen, Ulrich Lilie: Für sich sein. Ein Atlas der Einsamkeiten. München : C. H. Beck Verlag 2021