Selbstentwürfe und Geschlechterpolitiken in Zeiten des Neoliberalismus
von Hinrich Rosenbrock - Unter diesem Titel wurden am 24. und 25.06 die Entwicklungen verschiedener Wohlfahrtstaaten und die Freiheit des (weiblichen) postfeministischen Subjekts diskutiert. Organisiert vom Lehrstuhl für Soziologie/Soziale Ungleichheit und Geschlecht, Prof. Dr. Lenz der Ruhr-Universität Bochum, der Marie-Jahoda Gastprofessur, der Heinrich Böll Stiftung NRW, dem Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, der Research School der RUB und der Gesellschaft der Freunde der RUB bot die Tagung einen international vergleichenden Überblick über die aktuelle Entwicklung von Geschlechterpolitiken und mögliche Handlungsstrategien.
Neben europäischen Modellen brachten Dr. Pilwha Chang, Dr. Christa Wichterich und Prof. Dr. Michiko Mae Perspektiven aus Ostasien ein. Während die Marie-Jahoda Gastprofessorin Pilwha Chang die Entwicklung der Frauenbewegungen in Südkorea vorstellte, widmete sich Christa Wichterich einem Vergleich zwischen europäischen und chinesischen Geschlechternormen. Während der Neoliberalismus – der an dieser Stelle als Konzept gedacht wird, welches individuelle Freiheit vor Gleichheit und Marktlösungen vor den Staat stellt – in Europa zu einer Erosion bestimmter Ungleichheits-Konzepte wie dem Ernährer-Hausfrauen-Model führen würde, sei die Entwicklung in China eher gegenläufig. In der post-sozialistischen Ära nehmen geschlechtliche Diskriminierungen zu und die romantisierende Familienpolitik schwächt weibliche Positionen auf dem Arbeitsmarkt.
In Europa kann jedoch davon ausgegangen werden, dass durch den Neoliberalismus durchaus neue Chancen für Frauen geschaffen wurden. So sei die internationale Wettbewerbsfähigkeit ohne die wirtschaftliche Integration von Frauen nicht denkbar. Diese Entwicklung macht nicht nur deutlich, dass sich manche Inhalte des Feminismus und des Neoliberalismus durchaus ähneln, sondern ermöglicht auch eine neue Art des Feminismus. So arbeitete Prof. Dr. Katja Sabisch heraus, wie sich bestimmte feministische Selbstbilder von „Top-Frauen“ aus einer leistungsbezogenen und hoch mobilen Mittelschicht über ihre Excellenz insbesondere auf dem Arbeitsmarkt definieren.
Die positiven Aspekte dieser Entwicklung müssen jedoch relativiert werden. So machte Jenny Huschke vom DGB deutlich, dass der Blick auf Subjekte nicht dazu führen dürfte, die Strukturen sozialer Ungleichheit zu übersehen. Prof. Dr. Mieke Verloo verfolgte die Reformulierung feministischer Gendernormen – stretching and bending – in der EU Politik, die auf Markt und individuelle Freiheit setzt. Die Frage der Kapitalismuskritik griff auch Sonja Eismann in der Abschlussdiskussion wieder au.
Die hier kurz angerissen Darstellungen wurden in verschiedenen Workshops vertieft. So wurde sich z.B. dem Verhältnis von Autonomie und Zwangstrukturen in der Sexarbeit gewidmet. Dabei wurde schnell deutlich, dass in diesem Arbeitsbereich die Frage nach Selbstbestimmtheit, insbesondere die der Sexualität, durchaus zu problematisieren ist. Gleichzeitig dürfen diese Überlegungen jedoch nicht ohne die grundsätzliche Frage nach den Möglichkeiten selbstbestimmter Lohnarbeit auskommen. Auch der Bereich des Diversity Managements wurde angesprochen. Hier wurde die grundsätzlich wirtschaftliche Ausrichtung des Konzepts kritisiert. Gleichstellungspolitik müsse zwar unter Umständen wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigen, diese dürften jedoch nicht der alleinige Antrieb sein.
In der Abschlussdiskussion wurden Möglichkeiten der Umsetzung thematisiert. So sei es notwendig, sich vom Fetisch Arbeit zu verabschieden. Um die notwendige Reproduktionsarbeit zu stärken, wurde z.B. auf die Möglichkeiten von Arbeitszeitverkürzung verwiesen. Auf diesem Wege könnte man sich noch stärker vom Ernährer-Modell verabschieden und alle Beteiligten hätten mehr Zeit für diesen Bereich. Allerdings würde meistens eine wirtschaftliche Standort-Politik gegen eine effektive Familienpolitik ausgespielt. Ein weiterer Diskussionspunkt war die Art der Kooperation zwischen Feministinnen und Männerbewegungen. An dieser Stelle machte sich insbesondere Prof. Dr. Ilse Lenz dafür stark, zu „gendern“ und damit den Geschlechterdialog zu einzelnen Themen zu vertiefen. So lässt sich denn auch zusammenfassen, dass Geschlechterpolitiken im Neoliberalismus nicht ohne Berücksichtigung anderer struktureller Ungleichheiten wie Migration oder Klasse auskommen können.
Vorträge
Emanzipatorische Hoffnungen, globale Normen, neoliberale Gleichstellung
von Dr. Christa Wichterich, Autorin und Journalistin
Präsentation
Gender mainstreaming and 'neo-freedom'. How gender equality policies are stretched and bent and what that can possibly mean
von Prof. Dr. Mieke Verloo, Radboud University Nijmegen
Präsentation
Post, pop und top: Feministische Subjekte des Neoliberalismus
von Prof. Dr. Katja Sabisch, Ruhr-Universität Bochum
Präsentation
Womens Movement and Gender Policy in South Korea
von Prof. Dr. Pilwha Chang, Ewha Womans University Seoul, Marie-Jahoda-Gastprofessorin an der RUB
Präsentation
Das Partizipationsgesetz im Kontext der neoliberalen Politik in Japan
von Prof. Dr. Michika Mae, Heinrich-Heine-Universität
Wohin dreht sich die Spirale? Wohlfahrtsstaaten, Geschlechterpolitik und Neoliberalismus in vergleichender Perspektive
von Prof. Dr. Ilse Lenz, Ruhr-Universität Bochum
Präsentation
Workshops
Dekonstruktive/Queere Theorien und ihr Verhältnis zum neoliberalen Subjekt
von Sonja Eismann, u.a. Herausgeberin Mixxy Magazine
Wie kommt die Gleichheit in die Demokratie? Konzepte und politische Instrumente
von Nicole Bartocha, Gleichstellungsbüro RUB und Cinur Ghaderi, RUB
Gleichheit im Diversity Management?
von Prof. Dr. Michael Meuser, TU Dortmund und Eva Wegrzyn, Universität Dusiburg-Essen
Präsentation - Meuser
Präsentation - Wegrzyn
Globalisierung von Arbeit und Geschlecht
von Jenny Huschke, Bereich Gleichstellung- und Frauenpolitik im DGB Bundesvorstand und Susanne Grimm, RUB
Wer sorgt für mich? Care Work and neoliberale Geschlechterpolitik
von Prof. Dr. Margrit Brückner, FH Frankfurt a.M.
Präsentation
Dossier
Zwischen Markt und Schicksal? Individuelle Autonomie und gesellschaftliche Zwangsstrukturen am Beispiel der Prostitution
von Irmingard Schewe-Gerigk, ehm. MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Mechthild Eickel, Madonna e.V. und Ulrike Rothe, Sexarbeiterin aus NRW
Bologna International und die Ökonomisierung der Wissenschaft: Zur Zukunft der Genderforschung
von Melanie Trommer, RUB
Gleichheit als umkämpftes Terrain? Wie antifeministische Männerrechtler emanzipatorische Begriffe umdeuten
von Dr. Thomas Gesterkamp, Köln
Dossier
weitere Dokumente zum weiterlesen:
» Volz, Rainer / Zulehner, Paul M.: Männer in Bewegung. Zehn Jahre Männerentwicklung in Deutschland
» Gesterkamp, Thomas: Geschlechterkampf von rechts. Wie Männerrechtler und Familienfundmentalisten sich gegen das Feindbild Feminismus radikalisieren